Städtebaulicher Vertrag für Grone: mehr Schein als Sein

B-Plan_Grone_SüdIn der letzten Woche wurde im Ortsrat Grone der Städtebauliche Vertrag zwischen der Stadt Göttingen und der Westgrund Niedersachsen Süd GmbH, die rund 1.000 Wohnungen in Grone besitzt verhandelt, um so bezahlbaren Wohnraum und soziale Infrastruktur im Stadtteil sicherzustellen. Bei genauer Lektüre des Vertrags zeigt sich jedoch, dass dieser wenig für bezahlbaren Wohnraum in Göttingen und insbesondere in Grone beiträgt. Die Stadt knickt vor einem großen Investor ein.

Befürchtete Mietpreissteigerungen werden nun Wirklichkeit

Der Vorgang ist etwas kompliziert. Bereits vor mehr als einem Jahr kündigte die West-Grund Niedersachsen Süd GmbH an, dass sie ihren Bestand sanieren und rund 200 neue Wohnungen schaffen wolle. Dazu musste die Stadt Göttingen einen Bebauungsplan aufstellen. Bereits damals stand zu befürchten, dass Westgrund die Sanierungen zum Anlass nehmen würde um die Mieten weiter zu steigern. Argumentierte der Vertreter von Westgrund/ADLER noch während einer öffentlichen Bürgerversammlung, dass die Mieten um nicht mehr als 2€/m² steigen würden, so wurden jetzt neue Zahlen genannt: Die Göttinger Sozialdezernentin Petra Broistedt erklärte, dass die Mieten um maximal 2,59€/m² steigen würden. Die Mietpreissteigerungen dürften also noch größer ausfallen als ursprünglich angekündigt. Bei einer angenommenen Wohnfläche von 50 m² bedeutet dies eine Steigerung der gesamten Miete um 129,50 €/m² die eine Mietpartei monatlich zusätzlich zu bezahlen hat (also über 1.500€ im Jahr). Noch deutlicher wird die Dramatik der Preissteigerung, wenn man berücksichtigt, dass die Mietpreise bei der Westgrund in Göttingen im Bestand derzeit bei ca. 5 bis 6 €/m² liegen. Wir haben es hier also mit Mietpreissteigerungen von bis zu 50 % zu tun.  Bleiben wir bei der gerade begonnenen Beispielrechnung, so steigert sich die Miete von 3.600 € im Jahr (bei angenommenen 6 €/m²) auf nun 8,59 €/m² (monatlich) und  einer Jahresgesamtmietzahlung von 5.154 €. Aber selbst dies ist noch nicht die Spitze des Eisbergs: Hinzu kommen noch Balkonanbauten in einer Größe von ca. 5 m² je Wohnung. Diese 5 m² werden zusätzlich als Wohnfläche zu 25% angerechnet. Das bedeutet, dass sich die Wohnfläche um weitere 1,25 m² erhöhen. In unserer Beispielrechnung bedeutet dies eine weitere zusätzliche Mietbelastung von 128,85 € im Jahr, sodass eine Jahresgesamtmiete von 5.282,85€ entsteht. Gerade für einkommensniedrige Schichten ist diese Preisentwicklung kaum leistbar ohne eine deutliche Absenkung des Lebensstandards.

Städtebaulicher Vertrag ist mehr Schein als Sein

Im Zuge der notwendigen Änderungen des Bebauungsplans, hatte die Stadt Göttingen nun die Möglichkeit auf Teile der geplanten Änderungen der Gebäude im Bestand der Westgrund Einfluss zu nehmen. Dabei ist  anzumerken, dass die Stadt im Rahmen dessen nicht direkt Sanierungen verhindern kann. Allerdings musste der Bebauungsplan für die notwendigen Neubauten und Aufstockungen geändert werden. Genau das ist der Ansatzpunkt, mit dessen Hilfe die Stadt mittels eines Städtebaulichen Vertrags Einfluss auf die Veränderungen nehmen kann. Davon hat sie nun Gebrauch gemacht. Allerdings ist sie insgesamt doch stark vor dem Investor eingeknickt. Der Vertrag regelt hinsichtlich bezahlbaren Wohraums, dass 45 % der neu geschaffenen insgesamt 177 Wohnungen belegungsgebunden vergeben werden sollen. Dies sind insgesamt 80 Wohnungen. Belegungsgebunden bedeutet, dass die Personen, die dort wohnen dürfen einen Wohnberechtigungsschein aufgrund geringer Einkommen besitzen müssen, der widerum von der Stadtverwaltung ausgestellt wird. Das Gute an diesem Instrument ist, dass damit Bedürftige wirklich in diese Wohnungen ziehen. Zusätzlich ist im Vertrag festgelegt, dass 51 dieser Wohnungen einen Mietpreis von maximal 5,60 €/m² aufweisen dürfen und weitere 29 Wohnungen für mittlere Einkommensgruppen mit einer Miete von max. 7,00€/m² gebunden werden. Da Neubau immer in der Produktion teurer ist, als Bestandswohnungen, sollen diese belegungsgebundenen Wohnungen explizit nicht im Neubau sein, sondern in bestehenden Wohnungen die Mieten für diese 80 Wohnungen auf die genannten Maximalhöhen beschränkt werden. Von den derzeit bestehenden  ca. 1.100 Wohnungen im Bestand von Westgrund werden also mittels des Städtebaulichen Vertrags nur 80 Wohnunen überhaupt Mietpreisgebunden, während gleichzeitig 177 neue Wohnungen dazu kommen. Faktisch sichert der Vertrag also für nicht einmal 10% der Bestandswohnungen günstige Mieten.

Doppelmoral

An dem Vertrag wird aber noch etwas deutlich: Für die Stadt gelten Mieten bis 7,00 €/m² als erschinglich für mittlere Einkommen. Dieses Segment schmilzt aber immer weiter ab. Im Umkerhschluss bedeutet das, dass die Mietpreissteigerungen, die in den Westgrund-Beständen angekündigt sind, und keinesweges unter 7€/m² liegen werden (sonst wäre der Vertrag schließlich überflüssig), nicht einmal mehr für mittlere Einkommensschichten erschwinglich sind. Von einem Quartier, in dem auch untere Einkommensschichten noch Wohnraum finden, braucht dann erst Recht keine Rede mehr  zu sein. Die Stadt scheint hier die Verdrängung einkommensniedriger Bevölkerung eher zu begleiten, als Ihr etwas entgegen zu setzen.

Hinzu kommt, dass keine einzige neue günstige Wohnung geschaffen wird. Die Neubauten sollen sogar explizit teuer sein. Doch warum nur? Hier scheint die Stadtverwaltung zwei weiteren Trugschlüssen aufzusitzen:

  1. Es geht nicht einfach darum mehr Wohnraum in der Stadt zu schaffen, sondern mehr günstigen Wohnraum. Bauen, bauen, sorgt jedenfalls für keine Entspannung des Problems des mangelnden bezahlbaren Wohnraums – schon gar nicht, wenn wie in Grone viel mehr günstiger Wohnraum vernichtet wird.
  2. Der Zustimmung zum Bau von teuren neuen Wohnungen immer insbesondere in Quartieren, in denen überwiegend einkommensniedrige Bevölkerungsschichten wohnen, liegt die Vorstellung zugrunde, dass soziale Durchmischung per se positiv sei. Dabei ist nicht bewiesen, dass ein räumliches Nebeneinander von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auch zu Schichtübergreifenden sozialen Interaktionen führt. Noch dazu wird soziale Durchmischung immer nur für Qurtiere mit einkommensniedrigen Bevölkerungschichten gefordert. Oder etwas zugesptitzt formuliert: Wann wurde das letzte Mal gefordert, im Ostviertel für eine soziale Durchmischung zu sorgen, weil die Oberschicht endlich einmal mit der Unterschicht in Berührung kommen soll?

Verdrängung ist vorprogrammiert

Die Intention hinter dem Städtebaulichen Vertrag mag gut gemeint sein, aber so wie er ausgestaltet ist, ist er weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Er wird die bevorstehende Verdrängung einkommensniedriger Bevölkerungsgruppen aus den Beständen der Westgrund in Grone Süd nicht verhindern können. Einige BewohnerInnen werden vielleicht so viel Einkommen haben, dass sie die enormen Mietpreissteigerungen noch durch Verzicht auf andere Güter irgendwie für eine gewissen Zeit kompensieren können. Andere werden bereits jetzt nach Wohnalternativen suchen. Angesichts der hohen Neuvertragsmieten (bzw. Angebotsmieten), werden sie in der Stadt aber kaum fündig werden. Will und darf die Stadt die Verdränung ihrer Bewohnerinnen in angrenzende Städte, Dörfer und Gemeinden wirklich hinnehmen? Diese Frage wird im Moment nicht nur in Grone verhandelt, sie ist aktueller denn je.

 

2 Gedanken zu “Städtebaulicher Vertrag für Grone: mehr Schein als Sein

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