Nach dem „Wohnraum Atlas Göttingen“ (2020) ist jetzt der „Wohnraum Atlas Göttingen II“ (2023) erschienen.
Der zweite Wohnraum Atlas untersucht die
Entwicklung der Angebotsmieten 2012-2021 und Segmentierung des Mitewohnungsmarktes
Auf der Grundlage der von der Value AG zur Verfügung gestellten, umfangreichen Daten wird der seit 2012 ungebrochene Anstieg der Mietpreise in Göttingen detailliert dargestellt. Die Mietpreisentwicklung wird kleinräumig untersucht, differenziert nach Wohnungsgrösse, Baualter und Anbieter.
Die gesamte Studie ist an der Universität Trier erschienen
Frieling, Hans-Dieter; Mießner, Michael; Marlow, Robin (2023): Wohnraumatlas II. Entwicklung der Angebots- mieten 2012-2020 und Segementierung des Mietwohnungsmarktes. WiGeo-Analysen. Working Paper zur Wirtschaftsgeographie, Nr. 1. Universität Trier
Der Wohnraum Atlas Göttingen ist 2020 an der TU Dresden erschienen
Frieling, Hans-Dieter von – Mießner,Michael – Marlow, Robin (2020): Wohnraum Atlas Göttingen. Wohnungsversorgung und Wohnungspolitik in Göttingen seit 2010. Fakten – Analysen – Perspektiven
Die EBR Projektentwicklung GmbH ist seit zehn Jahren in Göttingen aktiv. Sie hat u.a. die Sparkassenzentrale (2018) und für die Hardenberg-Gruppe das Hotel Freigeist (2018) neben dem Wissenschaftsmuseum realisiert, die Kindertagesstätte Montessori Kindernest am Habichtsweg (Klausberg) sowie ein Kompetenzzentrum für den Labordienstleister amedes auf der Siekhöhe (2024). Die EBR entwickelt auch Wohnprojekte; derzeit sind es drei: Himmelsruh, Nonnenstieg und Zimmermannstrasse.
Die EBR präsentiert sich als zukunftsorientiertes, nachhaltig handelndes und sozial engagiertes Unternehmen, das Projekte entwickelt, „die zu einer lebenswerten, vielfältigen und gesunden Stadtentwicklung beitragen … Lebendige Urbanität, Co-Living und Co-Working, Wissensmanagement oder Urban Manufacturing sind die Begriffe dieser Zeit. Gleichzeitig sehnen sich Eigentümer und Mieter nach einer gesunden Umwelt: Natur, gute Luft, viel Licht und möglichst viel Grün in direktem Umfeld. Wir haben uns diese Ansprüche zur Philosophie gemacht: Wir denken und handeln ökologisch, sozial, ökonomisch, gesellschaftlich verantwortungsvoll. Vor allem jedoch nachhaltig. Auf diese Weise konzipieren und realisieren wir nicht einfach Immobilienprojekte, sondern schaffen nachhaltige, umweltfreundliche und gesunde Lebensräume zum Wohnen und Arbeiten. … Wir gestalten die Stadt der Zukunft. Urban und umweltbewusst, gut für Flora und Fauna. Unsere energieeffizienten Gebäude nehmen sich die Natur als Vorbild.““
Auch das gesellschaftliche Engagement kommt bei EBR nicht zu kurz: „Bei der EBR sind wir davon überzeugt, dass die vielversprechendste und nachhaltigste Stadtentwicklung eine Stadt der Quartiere ist. Diese Quartiere der Stadt der Zukunft sind naturnah gestaltet, vielfältig, lebendig und gesellschaftlich durchmischt.“
Diese Selbstdarstellung lässt „grüne Herzen“ sicher höher schlagen, zumal in den Projekten einiges davon auch umgesetzt wird: KfW-40-Standard, begrünte „Biodiversitäts“-Dächer, Fernwärme, Holz-Hybrid-Bauweise (zumindest im jüngsten Projekt Zimmermannstrasse), „wohltuende soziale Durchmischung im Sinne einer lebendigen Quartiersgemeinschaft“, Gewerbebauten nach dem Goldstandard der DGNB (ein Zertifizierungsunternehmen: Deutsche Gesellschaft für Nachhaltige Stadtentwicklung).
Doch: Für wen baut die EBR Wohnungen?
Himmelsruh 16-18: „Gesund. Bewusst. Leben.“
2022 fertiggestellt, KfW 55, Holz-Pelletheizung, Eichenparkett, Tiefgarage, usw. 18 Eigentumswohnungen: 3 Penthouses (152 qm, 196 qm, 224 qm), 11 4 Zimmer-Wohnungen (115 qm -143 qm), 4 2-Zimmer-Wohnungen (je 44,5 qm). Die 4-Zimmer-Wohnungen kosten rd. eine dreiviertel Million Euro, d.h. etwa 5.400 €/qm. Sie sind (Januar 2023) bis auf zwei verkauft.
Atrium am Nonnenstieg „Wohnerlebnis in feinster Komposition“
KfW 40, 2 Gebäude, Bezugstermin 2024, Tiefgarage: 34 Stellplätze, zur Strasse hin 14 Mietwohnungen, im hinteren Gebäude 11 „großzügige“ Eigentumswohnungen mit 4-5 Zimmern (195 qm bis 257 qm), Preis 6.000 bis 6.500 €/qm (d.h. 1,2 Mio. € bis 1,5 Mio. € pro Eigentumswohnung).
„In drei Stadtvillen entstehen elf exklusive Wohnungen, die größtenteils dreiseitig orientiert sind beziehungsweise sich teils über zwei Geschosse erstrecken. Das Einfamilienhaus im Haus. Sie bieten freien Ausblick in die Umgebung und einen unmittelbaren Grünbezug in Form von Gärten, Loggien, Dachterrassen und Dachgärten. …Ganz gleich, ob für anspruchsvolle Pärchen oder Familien mit Kindern – neben einem luxuriösen Lifestyle in ruhiger und dennoch urbaner Lage bietet das ATRIUM Wertbeständigkeit in einem der begehrtesten Wohngebiete Göttingens.“ (https://www.immobilienscout24.de/neubau/ebr-projektentwicklung-gmbh/atrium/110786.html: 2-1-2023)
Zimmermannstrasse „ein Novum nachhaltiger Stadtentwicklung in Göttingen. Es setzt neue Maßstäbe, ist urban, sozial wertvoll und klimafreundlich konzipiert … ökologisch und gesellschaftlich ein wertvolles Wohnquartier ….“
110 Mietwohnungen, KfW 40, Fernwärme, Holz-Hybrid-Bauweise, Biodiversitätsdächer, Wohnungsmix aus 1- bis 5-Zimmer-Wohnungen mit 30% preisgünstigen Wohnungen, Vermietung ab Q2/2024.
Geismar Landstraße. „Wohnen im Grünen – Mittendrin.“
2 Wohnhäuser, KfW 70, 23 Eigentumswohnungen, eines der ersten Projekte der EBR in Göttingen, fertiggestellt 2015.
Für wen also entwickelt die EBR Wohnprojekte?
Für eine kleine, aber besonders zahlungskräftige, obere und oberste Mittelschicht, die sich statt eines Eigenheims am Stadtrand Wohneigentum in bester, urbaner Lage leisten will, ein werthaltiges, zukunftssicheres, nachhaltig korrektes Eigentum, dessen Biodiversitätsdach die Ausstattung und die wohl die kaum nachhaltig zu nennende Quadratmeter-Grösse der Wohnungen ‚kompensieren‘ soll.
Ein hilfreicher Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage in Göttingen sind diese Projekte nicht. Wohl aber ein erfolgreicher Beitrag für die private Spekulation mit Grundeigentum und Immobilien.
Projektentwickler sind oft eine moderne Form der Immobilienspekulation. Projektentwickler können Dienstleister sein und für einen Auftraggeber ein Projekt verwirklichen (hier z.B. amedes, Sparkasse, Hotel Freigeist, Kindertagesstätte); sie können aber auch – und nicht selten – ein ‚Zwischeninvestor‘ sein. Als Zwischeninvestor kauft das Unternehmen ein Grundstück, entwickelt eine Nutzungs-/Projektidee, lässt bauen und vermarktet dann das Projekt an (End)Investoren (z.B. als Eigentumswohnung). Ein Projektentwickler engagiert sich nicht dauerhaft für ein Quartier oder Wohnhaus, sondern ist als Zwischeninvestor darauf bedacht, marktfähige Produkte zu entwickeln und nach der Fertigstellung möglichst zügig und mit Gewinn zu verkaufen. Vor allem Eigentumswohnungen ermöglichen eine erhöhte Grundstücksspekulation.
(Wenn der Verkauf der Himmelsruh-Wohnungen vielleicht 12-13 Mio.€ erbringt und die reinen Baukosten bei grosszügig geschätzten 5.000 E/qm liegen, verbleibt für die Grundstückskosten leicht ein Betrag von 2 Mio. €, was rd. 640 €/qm bedeuten würde.)
Für die angestrebte, zügige Realisierung der Spekulation, d.h. den Verkauf der Eigentumswohnungen, ist eine geschickte Marketingstrategie sehr hilfreich. Die EBR setzt hier – offensichtlich erfolgreich – auf eine besonders zahlungskräftige Gruppe, die sich als ‚grüne’, urbane Elite versteht. Dies vermittelt die zitierte Selbstdarstellung der EBR .
Die EBR Projektentwicklung GmbH ist 2012 in Göttingen gestartet. Ihr Geschäftsführer war zuvor in Immobiliengeschäften in Österreich tätig mit Verbindungen zu anderen Immobilienfirmen in Wien, Feldkirch und Bayern. Die damalige Geschäfte haben ihn 2010 nach Göttingen geführt, um eine Gewerbeimmobilie zu sanieren („Innovationsquartier Tuchmacherweg“). Im Mai 2012 wird die EBR Projektentwicklung GmbH in das Handelsregister eingetragen und sie bietet kurz darauf für das IWF-Gelände – erfolgreich gegen die Stadt Göttingen. Die Realisierung der dort geplanten Bebauung verzögert sich aufgrund von Bürgerprotesten. 2018 verkauft die EBR drei Viertel des Geländes an den Immobilienfonds Wertgrund Wohnpartner 2 GmbH&Co KG – mit 100% Gewinn (vgl. Wohnraum Atlas Göttingen 2021, S.23f.; https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2019/01/25/marktgesteuerte-stadtentwicklung-und-ihre-politische-durchsetzung-zum-teil-verkauf-des-iwf-gelaendes-an-wertgrund/#more-1254). Die EBR behält ein Filetstück, das jetzt durch Atrium-Eigentumswohnungen ‚veredelt‘ wird.
Mittlerweile umfasst die EBR Group auch die EBR Immobilien Invest GmbH, die EBR Immobilienberatung GmbH und die EBR Wohnimmobilien GmbH (all drei im Januar 2018 im Handelsregister neu eingetragen). Ob die EBR in das Geschäft mit der Vermietung von Wohnungen einsteigt, bleibt – trotz des Projektes Zimmermannstrasse – fraglich. Möglich ist ja auch, bei günstiger Gelegenheit die im Bau befindlichen Häuser weiter zu verkaufen. Zum Kerngeschäft gehörte bisher jedenfalls die Spekulation mit Grundstücken und vor allem „aufgewerteten“ Grundstücken.
Derartige geschäftliche Praktiken, auch wenn sie noch so „grün“ erscheinen, sind nichts Neues. Der Mangel an verfügbarem Boden der Stadt wird auch hier ausgenutzt für ein erfolgreiches Geschäft, für eine private Bereicherung. Aus Sicht der Stadtgesellschaft und der sozialen Stadtentwicklung wird Zukunft hier in keiner Weise neu gedacht. „Die Stadt der Zukunft – Urban und umweltbewusst“, vielleicht „gut für Flora und Fauna“ – aber für zwei Drittel der Stadtgesellschaft ändert sich auf diese Weise nichts.
Auch die zwar nicht selbstverständliche, freiwillige Verpflichtung der EBR, 30% sozial geförderte Wohnungen zu errichten (Zimmermannstrasse), ändert nicht wesentlich etwas daran, dass die Stadtentwicklung von den Gewinnkalkulationen und willkürlicher Entscheidungen privater Eigentümer entwickelt wird und grosse Teile der Stadtgesellschaft das aushalten müssen.
Notwendig wäre eine planvolle Entwicklung von integrierten Wohngebieten, in denen ein öffentliches, vergesellschaftetes Wohnungsunternehmen Mietwohnungen nach modernstem ökologischen Standards baut, die aufgrund ausreichender öffentlicher Fördermittel zugänglich und leistbar für alle sind – und nicht nur für wenige mit hohem Einkommen.
Im Sommer 2016 beschliesst der Verwaltungsausschuss des Rates der Stadt Göttingen die Aufstellung des Bebauungsplans Göttingen Nr. 250 „Weender Tor West“. Anlass ist eine Bauvoranfrage, auf dem Grotefendareal ein Parkhaus mit 400 Plätzen zu errichten. Die Stadt erlässt zunächst eine Veränderungssperre, um einen Bebauungsplan zu erarbeiten. Die SPD bevorzugt Ende 2018 „eine „Riegelvariante“, bei der die Gebäude eine geschlossene Front zur Straße bilden. Diese biete besseren Lärmschutz, argumentierte Sylvia Binkenstein für die SPD. Und nicht zuletzt würde die von ihr präferierte Variante 1400 Quadratmeter mehr Fläche für neue Wohnungen bieten“ (GT 14.12.2018). Olaf Feuerstein (CDU) damals: „Wir haben auch die Parkhaus-Variante sexy gefunden.“ (ebd.) Der Stadtbaurat Dienberg jedoch widerspricht: „Wir dürfen aber nicht die Regeln des Städtebaus über Bord werfen.“ Ließe man eine Riegelbebauung zu, „kommt die klassische Investorenarchitektur“. Der Wall gehöre zum Weichbild der Stadt. Da könne es nicht egal sein, wie der aussieht, sagte Dienberg.“ (ebd.)
Im Januar 2019 wird der Bebauungsplan öffentlich ausgelegt und am 21.6.2019 vom Rat rechtsgültig beschlossen. Stadtbaurat und Stadtplanung setzen sich durch. Das Grotefendareali wird als “Urbanes Gebiet” ausgewiesen mit 3 Einzelgebäuden (blau umrandet) mit max. 3 Geschossen (in einem kleinen Abschnitt bis max. 4 Geschossen) und mit einer leicht höheren Bruttogeschossfläche, statt 6000 qm Bruttogeschossfläche bisher nun max. 7200 qm. Den Einwand eines Grundeigentümers (aus dem Planungsgebiet), die Grundflächenzahl (GRZ) über die geplanten 0,4 zu erhöhen, weist der Rat zurück, ebenso wie das Begehren, dort ein Parkhaus zu errichten:
“Das Wallvorfeld zeichnet sich durch eine lockere Bebauung mit Solitärbaukörpern aus. In dem Bereich zwischen Berliner Straße und Stadtwall bzw. Bürgerstraße und Stadtwall beträgt die maximal zulässige Grundflächenzahl durchweg 0,4.” (Quelle: Bebauungsplan 250 „Weender Tor West“, Zusammenfassende Erklärung, Stadt Göttingen, 28.6.2019)
Zwei Jahre später, im Sommer 2021, kommt ein neuer Investor. Die Hanseatic Group hat inzwischen (Ende 2019 laut GT vom 12.12.2019) das Grotefendareal gekauft. (s.auch den Blog-Beitrag „Investor Hanseatic Group“: https://wordpress.com/post/stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2222) Die Hanseatic Group will – zusammen mit der Sparkasse Göttingen – einen über 40 m langen Gebäudekomplex mit 7 Geschossen bauen. Der neue Investor trägt am 8.7.2021sein Vorhaben im Bauausschuss vor (möglicherweise erneut, weil erstmals schon am 18.3.2021 in nicht öffentlicher Sitzung).
Im Bauausschuss am 8.7.2021 unterstützt der SPD-Fraktionsvorsitzende das Vorhaben des Investors, weil „durch den geplanten Nutzungsmix des Gebäudes die Vitalität der Innenstadt belebt werde …”; die Stadtbaurätin lobt den Lärmschutz durch eine höhere Riegelbebauung; die CDU rechtfertigt das Vorhaben damit, dass “7 Geschosse in urbanen Gebieten nicht unüblich seien. Ziel sei es, den Flächenverbrauch zu reduzieren” (was für die CDU bei der Ausweisung von Eigenheimgebieten keine Rolle spielt). Die vorgebrachten Allgemeinplätze zeigen, dass es augenscheinlich nicht darum geht, dem Innenstadtleitbild zu folgen bzw. es neu zu diskutieren. Es geht einzig darum, das Investoren-Vorhaben zu rechtfertigen. Und so entscheidet der Bauausschuss mit der SPD/CDU-Mehrheit, den rechtsgültigen Bebauungsplan entsprechend der Investoren-Planung zu ändern. Das bedeutet: 7-geschossige Riegelbebauung und Erweiterung der nutzbaren Bruttogeschossfläche um rd. 70% auf 12000 qm. (Quelle: Beschlussauszug 69. Öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Bauen, Planung und Grundstücke vom 8.7.2021, Sachstandsbericht des Investors).
(Quelle: HNA 23.10.2021)
Der Beschluss löst viele kritische Reaktionen in der Öffentlichkeit aus. „Tageblatt-Leser fürchten durch den Neubau am Weender Tor eine „Verschandelung der Stadt“ (GT 9.7.2021). „Die Neubau-Pläne des Investors Hanseatic und der Sparkasse Göttingen am Weender Tor sorgen weiter für Diskussionen. Bewohner der Weender Straße üben scharfe Kritik“ (GT 15.7.2021). Es gibt noch erheblich mehr ablehnende, kritische Reaktionen: siehe https://freies-verlagshaus.de/architektur/grotefend/.
Die Petitionsgruppe um Architektin Willenbrock-Heier schreibt am 6.7.2022:
“Damit soll im Schnellverfahren eine Änderung des bestehenden Bebauungsplans (Göttingen Nr. 250, seit 2019) unwiderruflich vorbereitet werden, obwohl sich Tausende Göttinger/innen im Rahmen unserer Online Petition sowie weitere Vertreter/innen der interessierten, betroffenen und beteiligten Öffentlichkeit für eine Umsetzung des erst seit drei Jahren gültigen B-Plans ausgesprochen haben. Dazu erklärt die Stadtverwaltung ganz offen, dass sie Investoreninteressen höher gewichtet als einen Städtebau, der dem Gemeinwohl dient. Wir lehnen eine solche Haltung ab.” (Quelle:nhttps://www.openpetition.de/petition/online/ein-investoren-monstrum-am-goettinger-historischen-wall-geht-gar-nicht)
Die Architektin gründete zusammen mit anderen die ‘Göttinger Initiative Petition Online’ und startet im September 2021 die Petition „Ein „Investoren-Monstrum“ am Göttinger Historischen Wall geht gar nicht„. (nhttps://www.openpetition.de/petition/online/ein-investoren-monstrum-am-goettinger-historischen-wall-geht-gar-nicht) Die Initiative fordert:
„Das Projekt darf in dieser Gestalt nicht realisiert werden, weil es in seiner Monstrosität den öffentlichen Raum am Stadteingang Weender Tor dauerhaft negativ prägen und den Wall verbarrikadieren wird“, macht Willenbrock-Heier deutlich. Der Wall werde nicht mehr zu sehen sein und der beliebte Spaziergang auf dem Wall wird ein Gang durch eine „Schlucht“ zwischen zu hohen Gebäuden auf beiden Seiten werden, befürchtet sie. „Da helfen auch keine Abtreppungen bis auf vier bis fünf Geschosse Richtung Wall. Das Argument Lärmschutz greift auch schon bei drei bis vier Geschossen.“ (zit. nach HNA 23.10.2021)
Die Petition ist sehr erfolgreich. In kurzer Zeit – bis Mitte Dezember 2021 – unterzeichnen über 1700 Göttinger*innen die Petition.
Der Protest gegen ihre Stadtplanung wird der Stadtregierung offenbar unangenehm. Zudem stehen Kommunal-, Bundestags- und Landtagswahlen an. Im Februar 2022 verkündet die Oberbürgermeisterin einen “Neustart” der Planung auf dem ehemaligen Grotefend-Areal. Sie teilt über das GT mit:
“Wie Göttingens Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) im Interview mit dem Tageblatt erklärte, will sie „die Reset-Taste” drücken und mit den Planungen für die Bebauung noch einmal von vorne anfangen. Darüber habe sie bereits mit dem Investor gesprochen …. „Das, was dort geplant war, ein langer Riegel, hoch und nicht einsehbar vom Stadtwall aus, das machen wir nicht. Wir stimmen neue Rahmenbedingungen mit der Politik ab”, sagte Broistedt, … auf deren Basis ein neuer Bebauungsplan aufgestellt werden kann. Die Politik diskutiert gerade, ob sie dem Verfahren so zustimmen kann. Ich hoffe sehr, dass sie das macht. Es soll dort eben nicht diesen riesigen Riegel, aber beispielsweise auch geförderte Wohnbebauung und andere Nutzungen geben. Diskutiert wird auch über die Höhen und die Sichtachsen zum Wall. Wie hoch soll der Bau denn werden? Dafür müssen wir erst einmal die Beratungen in der Politik abwarten. Wir haben Vorschläge gemacht, wie man in ein Bebauungsplan-Verfahren hinein gehen kann. Der Investor hat zugesagt, – wenn es so kommt – einen Städtebaulichen Wettbewerb oder eine Mehrfachbeauftragung zu beauftragen. Dadurch würden wir komplett andere Entwürfe bekommen. Dazu würden wir dann die Bürgerinnen und Bürger ins Boot holen. Das ist mir wichtig, und deshalb überlegen wir auch, wie künftig ein Bürger- und Bürgerinnenrat aufgestellt werden kann.” (GT 10.2.2022)
Ob es die Proteste in der Stadtgesellschaft oder ob es neue Kalkulationen der Investoren waren; vorläufig bleibt offen, was die Stadtregierung dazu bewogen hat, einen “Neustart” vorzunehmen.
Am 7.7.2022 stimmt der Ausschuss für Planen, Bauen und Grundstücke der Vorlage des Stadtplanungsamtes zu: Es soll ein „Wettbewerb oder einer Mehrfachbeauftragung mit den genannten Rahmenbedingungen“ durchgeführt werden. Der Ausschuss besteht auf dem wichtigen Punkt: „auf Basis des bestehenden Bebauungsplanes“. Der Beschluss dieses Ausschusses wird wenige Tage darauf vom Verwaltungsausschuss „einkassiert“ mit der Festlegung: „Dieser Wettbewerb soll Vorschläge machen, wie auf der Grundlage des gültigen Bebauungsplans dennoch 12000 qm Bruttogeschossfläche realisiert werden können – für einen „Nutzungsmix aus Wohnen, Büro, Gastronomie und ggf. einem Hotel”. Denn der Investor behauptet, diese Nutzungsintensität sei wegen der „ökonomischen Tragfähigkeit” notwendig.
Begründen muss der Investor das nicht näher. Er muss nicht darlegen, welche Rendite er für sich haben will, auch nicht, ob er für das Grundstück einen so hohen Preis bezahlt hat, der schon von vorneherein auf diese Nutzungsintensität berechnet war und nun muss die Politik – entgegen ihren stadtplanerischen Zielen – diese Spekulation nachträglich rechtsverbindlich ermöglichen und rechtfertigen.
Den Interessen des Investors entgegen zu kommen, bereitet Rat und Verwaltung offenbar keine Schwierigkeitenii. Der SPD allerdings scheint die Dienstbarkeit von Stadtplanung und Stadtregierung gegenüber den Wünschen der Investoren dann doch ein wenig zu offensichtlich zu sein. Und so bemüht sie den den Wohnraummangel, um die Nutzungsverdichtung als notwendig zu rechtfertigen: “Frau Binkenstein [SPD] erklärt, dass die Massivität nur zu rechtfertigen sei, wenn 5.000 m² Wohnraum geschaffen wird. Sie hält es für spannend, wie Architekten die Vorgaben umsetzen.” (Quelle: Protokoll über die 11. öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Bauen, Planung und Grundstücke am Donnerstag, 07.07.2022)
Ob der Investor so viele Wohnungeniii bauen wird, dass die 30%-Quotenregel greift, ist völlig offen. Dabei ist es schon sehr erstaunlich, dass die Stadtplanung jetzt den Standort an einer der am stärksten verkehrsbelasteten Strassen überhaupt für einen geeigneten Wohnstandort zu halten scheint. 2019 sah die Stadtplanung das im Bebauungsplan 2019 noch kritischiv. Doch um gutes Wohnen, um die Schaffung eines lebenswerten Wohnquartiers geht es der Stadt ganz offensichtlich nicht. Die Wohnnutzung soll eine höhere Nutzungsintensität, eine höhere Bruttogeschossfläche rechtfertigen, die dem Investor mehr Rendite verspricht. Die Politik handelt planlos, wenn es um die Sicherstellung einer guten Wohnungsversorgung geht. Wohnungen werden dort gebaut, wo ein Investor zufällig ein Grunsdstück kaufen kann und sich mit einer Wohnnutzung ein gutes Geschäft verspricht. Und die Politik ist zufrieden, wenn die Menge an Wohnungen steigt. Wohn- und Lebensqualität sind Privatsache. Auch wenn es zu Verhältnissen führt wie im gegenüberliegenden Idunazentrum.
Angesichts der Widerstände in der Stadtgesellschaft verspricht die Politik auch – wie so oft – , Bürgerinnen und Bürger ins Boot zu holen. Aber nicht sie will mit den Bürgerinnen und Bürger Planungsziele diskutieren. Dies soll der Investor “verfahrensbegleitend” tun. Wettbewerb wie Bürgerbeteiligung werden an den Privateigentümer „ausgelagert“.
Es gibt in den Kommentaren zur Open Petition anregende Ideen und Vorschläge zur Nutzung und Gestaltung des Grotefendareals. Aber die Stadtpolitik betrachtet sich nicht als die Institution, als die Plattform, die die Entwicklung der Stadt mit den Bürgerinnen und Bürgern zusammen und öffentlich diskutiert. Sie delegiert diese wichtigen Fragen an Private – an Eigentümer/ Unternehmen/ Investoren.
Öffentlich wahrnehmbar passiert seit dem Sommer 2022 weiter nichts. Im Dezember 2022 schreibt die Architektin Willenbrock-Heier daher einen Leserbrief an das GT, der am 23.12.2022 veröffentlicht wurde. Er lautet:
Ein Weckruf zum „Investoren-Monstrum am Historischen Wall“
Vor einem Jahr wurde dem Göttinger Rat eine Petition übergeben, mit der über 1.700 Göttinger*innen gegen Pläne des Investors Hanseatic Group protestierten. Empörte Leserbriefe gab es viele. Weil monatelang nichts zu erfahren war über den „Reset-Knopf“ von Frau Broistedt: „alles wird anders, mit Bürgerbeteiligung“, gab es weitere Gespräche mit Politikern. Ergebnis: von unwillig bis hilflos, nichts Konkretes wissend. Gesprächsangebote der Architektenkammer wurden von der Stadt nicht beantwortet. Es gab bereits ab Februar 2022 neue Investorenvorschläge mit deutlich mehr Fläche als im rechtsgültigen Bebauungsplan erlaubt. Beteiligung der Öffentlichkeit? Fehlanzeige. Die Fakten kamen erst Anfang Juli in der überraschend terminierten Bauausschuss-Sitzung auf den Tisch. Dem Ausschussvotum gegen eine massive Überschreitung der Bruttogeschossfläche und für den geltenden B-Plan folgte dessen Aushebelung mit anderen Mehrheiten im Verwaltungsausschuss nur wenige Tage später. Das Konzept des Investors sollte „ökonomisch tragbar“ sein, zumal der innigste Wunsch aus Politik und Verwaltung nach gefördertem Wohnen ausgerechnet an der dafür denkbar ungünstigsten Stelle der Innenstadt auch noch „einzupreisen“ war. So viel Verständnis für den Investor, so wenig Beachtung des Bürgerwillens! Was mag hinter der „Pro-Hanseatic-Koalition“ von SPD, CDU und FDP stecken? Allein fehlendes Wissen über Städtebau-Grundlagen kann es nicht sein. Auf Zweifel und Vermutungen folgten Dementi. Der GT-Bericht am 22.10.22 über die Beziehungen zwischen Sparkasse und Hanseatic-Group brachte Erhellendes. Und? Schweigen seitdem. Die Göttinger*innen erfahren nichts über die Art und den Sachstand des Wettbewerbsverfahrens des Investors. Es wird wohl wieder eine überraschende Bauausschuss-Sitzung mit vollendeten Tatsachen geben. Erst wenn gebaut und es dann zu spät ist, wird man feststellen: war wohl doch nicht die richtige Festlegung; wie z.B. beim zu hohen Groner Tor-Bau. Für das Ansehen von Politik und Verwaltung läuft es mit blamablem „Geschmäckle“. Was ist zu tun angesichts des „Multiorganversagens“ im Rathaus zu wichtigen Entscheidungen? Nachdenken, umdenken, Öffentlichkeit herstellen, den gewachsenen städtebaulichen und sozialen Kontext achten. Den rechtsgültigen Bebauungsplan am Wall mit maßvoller Bebauung umsetzen! Renate Willenbrock-Heier
Soweit der Stand. Was zeigt dieser Fall zu der Frage, wie Stadtentwicklung funktioniert?
Die Stadtgesellschaft ist vielfältig. Die Interessen sind unterschiedlich und manchmal gegensätzlich in der Frage, wie der städtischen Raum genutzt werden soll.
Die kommunale Politik, d.h. die regierende Mehrheit im Rat, entscheidet, was für alle in der Stadt die beste Nutzung ist und zu sein hat, welche Interessen Vorrang haben, welche zurückstehen müssen oder ausgegrenzt werden. In diesem Fall – und es nicht der einzige in Göttingen – entscheidet die SPD/CDU/FDP-Mehrheit, dass die Rendite für den Privateigentümer Vorrang hat. Diesem Interesse hat sich die Stadgesellschaft unterzuordnen. Eine öffentlich vernehmbare, kritische, auf das Gemeinwohl bedachte Stadtplanung gibt es in Göttingen offenbar nicht mehr. Umso wichtiger sind Proteste, Diskussionen und eigene Initiativen der Stadtgesellschaft.
iii Eine Bruttogeschossfläche von 5000 qm entspricht einer Grössenordnung von ungefähr 40 Wohnungen zu 100 qm Wohnfläche.
iv Zur Tauglichkeit als Wohnstadort heisst es in den Erläuterungen zum Bebauungsplan 2019 u.a.: „Aus dem Lärmgutachten bzw. der Begutachtung der Geräuschimmissionen durch Verkehrslärm ergibt sich, dass entlang der Berliner Straße im MU 1 aufgrund der Überschreitung der Schwelle zur Gesundheitsgefahr keine Aufenthaltsräume bzw. Fenster anzuordnen sind.“ (Quelle: Stadt Göttingen, Bebauungsplan Göttingen Nr. 250, „Weender Tor West“)
Dass sich seit etwa zwei Jahrzehnten Finanzunternehmen auf dem Götttingen Boden- und Wohnungsmarkt tummeln, ist bekannt. Zu den britischen Privat Equity-Fonds, us-amerikanische Hedgefonds und Finanzinvestoren aus Frankfurt/M ist vor einigen Jahren ein Vermögensverwalter aus Hildesheim dazu gekommen – die Hanseatic Group.
Hanseatic Group ist nur ein Markenname für eine Vielzahl von Finanz-, Immobilien- und Objektgesellschaften des Investors Christian Beilicke, Hildesheim, der seit 1993 im Immobiliengeschäft tätig ist. In Göttingen haben die Aktivitäten von Beilicke 2018 mit einer anderen Firma begonnen – einem Unternehmen aus der HT Group . Die HT Group besteht aus Unternehmen (Vermögensverwaltung, Immobilien, Hotellerie), welche die Hanseatic zusammen mit Tönnies-Unternehmen betreibt. So gibt es HT Königsgalerie GmbH (Kassel),HT Hotel Beteiligungsgesellschaft mbH, HT Vermögensverwaltung Möwe GmbH, u.a. Und auch die HT Verwaltungs GmbH, Hildesheim, die 2018 das Sparkassenareal in der Göttnger Innenstadt kauft.
Inzwischen besitzt die Hanseatic Group über ihre Tochtergesellschaften und Beteiligungen vier grosse Areale von 1100 qm bis 7200 qm, insgesamt rd. 17000 qm – das Sparkassenareal, das Grotefendareal, die Arkaden am Gericht und das Grundstück der ehemaligen Bäckerei Thiele in Weende. Und die Familien Beilicke scheint auch darüber hinaus geschäftlich gut mit Göttingern vernetzt zu sein.
Das „Sparkassenareal“
Im Juli 2018 meldet das GT, die Sparkasse habe beschlossen, ihre Innenstadtimmobilie für 31,5 Mio.€ an die HT Group zu verkaufen, wahrscheinlich an die im Januar 2018 gegründete HT Verwaltungs GmbH, Hildesheim. Die Sparkasse Göttingen beabsichtigt 2019 in ihre neue Zentrale an der Groner Landstrasse zu ziehen; den Innenstadtstandort will sie aufgeben.
Quelle: Hanseatic Group
Die HT Group gehört der Hanseatic Wohnen Holding GmbH, Hildesheim, und der Asset Immobilienverwaltungsgesellschaft mbH, Rheda-Wiedenbrück.Die Asset Immobilienverwaltungsgesellschaft mbH ist ein 2001 gegründetes Single Family Office des Tönnies-Konzerns. Sie legt die Gewinne an, die bei einem der grössten Schlachtbetriebe Europas entstehen, der seit vielen Jahren wegen prekärer Beschäftigungsverhältnisse und Ausbeutung in der Kritik steht (siehe dazu auch das Buch des Göttinger Wissenschaftler Peter Birke: Grenzen aus Glas. Arbeit, Rassismus und Kämpfe der Migration in Deutschland. Wien 2022). Das Vermögen der beiden Tönnies-Haupteigentümer schätzt die Zeitschrift Forbes (2022) auf jeweils 1,5 bis 2 Mrd. €.
Im Oktober 2019 wird Hanseatic Projekt Göttingen GmbH, zuerst Hildesheim, dann Göttingen, Weender Str. 17, gegründet, die sich wahrscheinlich mit der Realisierung des Projekts befassen soll. Schon am 16.10.2017 hatten die Architeten Bruno Fioretti Marquez im Auftrag der Sparkasse Göttingen ein Szenario vorgestellt, wie das Sparkassenareal umgenutzt werden könnte.
Die Idee der Architekten sieht eine hohe Verdichtung vor, eine Erweiterung auf 17.500 qm Bruttogeschossfläche, Einzelhandel und rund 80 Wohnungen, Wohnnutzung ab dem 2. Stockwerk und: „Größere Wohnungen von herausragender Qualität können in den drei neu gesetzten Kuben vom 5. bis zum 6. OG realisiert werden, vorstellbar sind hier Maisonette-Typen. Diese bieten die Qualität eines Townhouses mit privatem Garten über der Dachlandschaft des Quartiers.“ Der Bauausschuss ist von dem Konzept angetan. „Frau Dr. Sakowsky [Die Grünen] lobt die bemerkenswerte Idee und ist erfreut über die geplanten beabsichtigten Begrünungen der Dächer.“ (Protokoll Bauausschuss Stadt Göttingen vom 16.10.2017)
Der Investor HT Group äussert sich im Sommer 2018 über die geplante Nutzung ähnlich. „Die wichtigste Anforderung für den prominenten Standort in der Göttinger City sei es nun, die Belebung der Innenstadt durch einen guten Mix aus Einzelhandel, Gastronomie und Wohnen sicherzustellen. Die Entwicklung des Quartiers erfordere viel Fingerspitzengefühl – auch im Hinblick auf den teils denkmalgeschützten Immobilienbestand in der historischen Innenstadt. Über einen noch zu schaffenden Bebauungsplan werde eine städtebauliche Entwicklung des gesamten Areals möglich.“ Bis dahin werde es eine Übergangsnutzung geben; „Dadurch soll gewährleistet werden, dass in der 1A-Lage kein vorübergehender Leerstand entsteht.“ (GT 9.7.2018)
Das war 2018. Ende 2022 gibt es seit rund zwei Jahren immer noch Leerstand in der „Filet-Lage“.
Das „Grotefendareal“
Im Dezember 2019 wird die Hanseatic Besitz Göttingen GmbH, Hildesheim, gegründet. Geschäftsführer ist auch hier Christian Beilicke. Sie kauft im Dezember 2019 das 4480 qm grosse Grotefendareal (GT 12.12.2019) und stellt im Februar 2020 in einer nicht öffentliche Bauausschussitzung erstmals ihre Nutzungspläne vor. Im Juli 2020 präsentiert sie in der öffentlichen Bauausschussitzung ihre Pläne: ein über 40 m langer Gebäudekomplex mit 7 Geschossen und einer Bruttogeschossfläche von 12000 qm. Mit-Investor ist eine Tochtergesellschaft der Sparkasse Göttingen: die im Dezember 2019 gegründete speciales loca Gmbh, Göttingen.
Quelle: Hanseatic Group
Die Arkaden am Gericht
Der Hanseatic Group gehört auch die Gewerbeimmoibilie Arkaden am Gericht, Berliner Strasse 10-12. Wann die Hanseatic Group dieses 2002/2003 erbaute 5-geschossige Gebäude (auf einer Fläche von 1145 qm) gekauft hat, ist nicht bekannt.
Quelle: Hanseatic Group
Das „Weender Areal“
Im März 2021 wird die Hanseatic Projekt Weende GmbH, Hildesheim, gegründet. Im Mai 2021 berichtet das GT: Die Bäckerei Thiele und Apel verkauft ihr Geschäft an einen Finanzinvestor aus Hessen, der seit einigen Jahren mit seinem Unternehmen „Haus der Bäcker“, Frankfurt/M., grössere mittelständische Bäckereiunternehmen in ganz Deutschland aufkauft. Die Produktion der Bäckerei Thiele wird aus Weende in das Industriegebiet Grone, Robert-Bosch-Breite, verlagert. (GT 12.05.2021; https://www.back-intern.de/2021/05/12/haus-der-baecker-kauft-thiele-und-apel/). Das Grundstück (7200 qm) kauft die Hanseatic Group. Sie pant den Bau von 120 Wohneinheiten, geplante Fertigstellung 3. Quartal 2022 (https://hanseatic-group.com/goettingen-weende/) .
Quelle: Hanseatic Group
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Über diese Immobiliengeschäfte der Hanseatic Group und der Sparkasse Göttingen hinaus gibt es noch weitere „Verflechtungen“. Die Familie Beilicke ist mit ihren Firmen auch im Hotelgewerbe und dem Handel aktiv. Im September 2020 gründet Tobias Wayne Hald, Geschäftsführer der SiTo Beteiligungen GmbH, Hildesheim, und Sohn des ehemaligen langjährigen Geschäftsführers der Sparkasse Göttingen, zusammen mit Maximilian Beilicke, der wiederum auch Geschäftsführer der Hotel Atlantis Verwaltungs GmbH (Mitgeschaftsführer Christian Beilicke), der Barutokai Wagyu GmbH, Hemmelsdorf (Mitgeschaftführer Olaf Feuerstein) , und anderer ist, die MaTo Real Estate GmbH, Hildesheim.
Im Oktober 2021 wird Hotelier und führendes CDU-Fraktionsmitglied im Göttinger Stadtrat, Olaf Feuerstein, Geschäftsführer der Nordic Wave Hotelbetriebsgesellschaft Eins mbH, Timmendorfer Strand, zusammen mit Christian Beilicke. Sie betreiben das sehr feine Hotel The Flaminge („EINZIGARTIG. SCHILLERND. UND MIT SUCHTFAKTOR. TIMMENDORF GOES MIAMI!“ – Pressemitteilung des The Flamingo) (https://the-flamingo.de). (alle Angaben nach https://www.northdata.de)
Diese geschäftlichen Beziehungen haben nichts mit Göttinger Immobiliengeschäften zu tun. Sie betreffen Hotellerie, Gastronomie, Handel und – Rinderzucht.
Ob diese geschäftlichen Kontakte einen informellen Einfluss auf die Durchsetzung der Interessen der Hanseatic Group in Göttingen haben, ist nicht bekannt. Zwar gibt es immer wieder einmal Fälle, in denen soziale und informelle Kontakte zu unerlaubten Absprachen zwischen Unternehmen wie auch zwischen Unternehmen und Politik führen, doch in diesem Göttinger Fall gibt es keinen Anhaltspunkt, so etwas zu vermuten.
Das der Wirtschaft nahe stehende Institut IW (Köln) stellt in einem Gutachten Anfang Dezember 2022 fest, dass das „erschwingliche“ Mietwohnungsangebot in Deutschland immer knapper wird1. Der Anteil „erschwinglicher“ Angebote, für einkommensschwächere Haushalte ohnehin gering, ist gerade im letzten Jahr, also seit 2021, noch einmal deutlich gesunken, weil die Mieten immer weiter steigen, weil auch die kalten Nebenkosten steigen, und vor allem, weil die Heizkosten steigen. Was folgt daraus? Das IW schreibt:
„Für Wohnungssuchende bieten sich in der aktuellen Situation nur zwei Möglichkeiten, auf die gestiegenen Gesamtkosten zu reagieren: einen höheren Teil des Einkommens für die Miete aufzubringen oder die Wohnungsgröße oder -qualität zu reduzieren.“ (IW 2022, 29)
Tagtäglich werden wir informiert, dass die Preise steigen – bei Nahrungsmitteln, Mobilität, Energie und Wohnen. Und wir werden aufgefordert, uns darauf einzustellen wie in dem Zitat oben: entweder mehr Miete zahlen (und an anderem sparen) oder schlechter Wohnen (enger, lauter,einfacher). Diese Aufforderungen richtet sich natürlich vor allem an jene, die viel leisten, sich aber dennoch nicht viel leisten können, weil sie nicht zu den “Leistungsträgern” gehören.
Dass Anbieter wie die Immobilienkonzerne die Mieten senken, ist undenkbar. Es ist ihnen nicht zumutbar, ihre Profite zu gefährden. Und damit ihr Unternehmen. Und damit womöglich die Wohnungsversorgung in Deutschland. „Erschwingliche“ Mieten sind zu niedrig, um damit rentable Vermietungsgeschäfte zu betreiben.
Zu dem Gutachten: Was bedeutet „erschwinglich“? Für „erschwinglich“ hält das IW eine Gesamtmiete, also einschliesslich kalter wie warmer Nebenkosten, 35% des Haushaltsnettoeiskommens nicht übersteigt. Das IW untersucht die Entwicklung von Angebotsmieten seit 2018 und differenziert in Nettokaltmiete und kalte und warme Wohnnebenkosten, soweit sie sich aus den Angeboten ermitteln lassen. Erfasst werden die Daten nicht für Städte oder Gemeinden, sondern für Kreise. Es überrascht nicht sonderlich, dass die warmen Nebenkosten drastisch angestiegen sind. Bis zum Winter 2021 lagen sie im bundesweiten Durchschnitt über viele Jahre bei 1,10 €/qm (Medianwert). Jetzt im September 2022 mussten Mieter schon 1,74 €/qm in den Abschlagszahlungen (bei Neuvermietungen) kalkulieren. Ein Plus von 48% ! Bei einer 75 qm grossen Wohnung macht das durchschnittlich Mehrausgaben in Höhe von 505 € im Jahr aus. Bei den kalten Nebenkosten ist solche eine explosionsartige Kostensteigerung nicht zu verzeichnen. Aber auch dieser Posten steigt von Jahr zu Jahr um durchschnittlich 2,6%. Und im letzten Jahr sind sie um 4,2% gestiegen auf (bundes-)durchschnittlich 1,72 €/qm. Das IW errechnet aus alledem, das im Bundesdurchschnitt die Gesamtmiete, also einschließlich kalter und warmer Nebenkosten, allein im vergangenen Jahr um 10,9% gestiegen ist. Angesichts dieser allgemeinen Preissteigerungen berechnet das IW mit Hilfe eines Modells, wie sich das Angebot an „erschwinglichen“ Mieten für die verschiedenen Einkommensgruppen in den einzelnen Kreisen seit 2018 entwickelt hat. Ergebnis: Z.B. für einen Haushalt von zwei Erwachsenen und zwei Kindern in der Einkommensgruppe der untersten 20% kommt in der Hälfte aller Kreise der BRD gerade einmal jedes vierte Wohnungsangebot (genau: 28%) in Frage. In jedem vierten Kreis sinkt der Anteil “erschwinglicher” Angebote auf 13 %. Mit steigendem Einkommen steigt zwar die Menge der tauglichen Angebote. Aber selbst für Haushalte mit einem Medianeinkommen sind (in der Hälfte aller Kreise) nur zwei Drittel der Angebote “erschwinglich”. Diese Modellrechnung ist kompliziert und vielleicht verwirrend. Aber eindeutig ist das Ergebnis: In weiten Teilen der BRD fehlt es für jene mit geringem Einkommen und auch für jene mit durchschnittlichem Einkommen in grossem Umfang an “erschwinglichen” Wohnungsangeboten. Und dieser Mangel wächst, wie das IW zeigt.
Diese Mietenentwicklung auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist keine überraschende Neuigkeit2. Und ebensowenig ist es eine Neuigkeit, das die Wohnungspolitik mit all ihren Förderprogrammen und ihren vielen Bündnissen für bezahlbares Wohnen, die sie eingerichtet hat, daran nichts grundlegend geändert hat.
Ob aktuell, in der Krise, die Angebotsmieten sinken werden, ist fraglich. Die Schuldenwirtschaft der grossen Immobilienkonzerne wie Vonovia und LEG erfordert weitere steigende Mieteinnahmen. LEG verspricht den Aktionären eine Steigerung von 3% – 4% 3. Zugleich treten die Unternehmen profitorientiert auf die Neubau- und Modernisierungsbremse, wie die IG Bau kritisiert4. Der sozial geförderte Wohnungsneubau kommt nicht voran, die Zahl preisgebundener Wohnung sinkt immer weiter. Das Statistische Landesamt in Niedersachsen5 hat jüngst berechnet: Das Wohnen (einschliesslich Energie) macht bei alleinlebenden Haushalten in Niedersachsen im September 2022 im Durchschnitt (!) mittlerweile 40,8% dessen aus, was sie für ihren Konsum ausgeben können, bei Alleinerziehenden liegt der Wert mit 38,3% nur knapp darunter; die Kosten für das Wohnen haben sich für diese Haushalte seit 2018 um rd. 15% erhöht.
Es verwundert nicht, wenn jetzt viele auf die Strasse gehen und “Genug ist genug” rufen und “Preise runter” fordern. Doch das allein reicht nicht, weil es nichts ändert. Das sagt auch die Gewerkschaft IG Bau. Es braucht eine völlig andere Art der Wohnungsversorgung, eine die nicht vom “Markt” und von der Rendite gesteuert wird, sondern eine soziale Wohnungsversorgung, die in gesellschaftlicher Hand ist und gutes Wohnen zu stabilen und leistbaren Preisen sicherstellt. Wohnen als soziale Infrastruktur. So wie es das Bündnis “Gutes Wohnen für Alle” seit Jahren fordert.
Der LEG-Service ist momentan nicht verfügbar, ist momentan nicht verfügbar, ist momentan nicht verfügbar … Erfahrungen von Mieter:innen in Göttingen Grone
In ihren Geschäftsberichten schreibt die LEG über ihren Umgang mit ihren Mietern immer wieder – so auch 2021 – :
„Ein wesentliches Ziel der LEG sind zufriedene Mieter in stabilen Quartieren, in denen sie gut, sicher und zu fairen Mietpreisen wohnen können. … Deswegen verfolgt die LEG das Ziel einer nachhaltigen Kundenzufriedenheit. Dies wollen wir mit unserem guten Preis-Leistungs-Verhältnis, durch die kontinuierliche und qualitative Verbesserung der LEG-Services sowie mit einer konsequenten Orientierung an den Bedürfnissen unserer Mieter erreichen.“ (LEG Immobilien S.E.: Geschäftsbericht für das Jahr 2021, Seite 116)
Beruhigende Worte für die Investoren und ihre Kapitalanlagen. Die Erfahrungen der Mieter:innen in Grone sind andere. Schon einmal wurde in diesem Blog ein Bericht aus Grone abgedruckt. In der ersten Jahreshälfte 2022 konnte die LEG noch die chaotische Übergabe der Adler Group für ihren heftig kritisierten Umgang mit den Groner Mieter:innen anführen. Das ist inzwischen noch weniger glaubhaft.
Wie steht es um das „wesentliche Ziel“ der LEG? Wie sieht die Realität der „konsequenten Orientierung an den Bedürfnissen unserer Mieter“ aus? Ein erneuter Bericht aus Grone:
Der folgende Text erschien in den Göttinger Blättern, Ausgabe: Oktober 2022).
„Und ewig grüßt das Murmeltier – der Mieter*innenterror in Grone geht weiter“
Weder gab es die geforderten umfassenden Informationsschreiben an alle Mieter*innen, noch wurden die Bauschäden einheitlich erfasst, beseitigt und ent schädigt. Der Umgang der LEG mit den einzelnen Mietparteien gleicht einem willkürlichen Flickenteppich. Es gibt keinerlei Transparenz.
Da werden den Mieter*innen mal hier, und mal da willkürliche Beträge bar im Briefumschlag überreicht. Oder der Schadensersatz wird erst dem Mietkonto gutgeschrieben und dann bei Auszahlung halbiert. Dabei kommen nur die in den Genuss von Entschädigungen, die diese massiv, am besten mit rechtlicher Unterstützung einfordern.
Das Hauptproblem ist, überhaupt Kontakt zu der LEG zu bekommen. Das hat sich seit dem Wechsel von der Adler AG sogar noch verschlechtert. Vorher konnte man z.B. die Hausmeister direkt per Handy erreichen. Dies ist nun nicht mehr möglich. Bei allen Anliegen muss eine auswärtige Nummer gewählt werden, auf einen Rückruf kann man lange warten. Emails und Briefe bleiben unbeantwortet, sogar auf Post der rechtlichen Vertretung wird nicht reagiert.
Auch die wöchentliche Sprechzeit im Mieterbüro ist oft nicht oder nur ungenügend besetzt.
Wer jedoch die Miete mindert, bekommt sehr schnell Antwort. Dies berichtete ein Mieter aus dem Bereich Elmweg / Deisterstraße. Dort wurden die Bauarbeiten zwar schon im letzten Jahr abgeschlossen, aber die Wohnqualität hat aufgrund diverser Mängel abgenommen. Weil er deshalb weniger Miete zahlen will, bekam der Mieter eine fristlose Kündigung. Zum Glück wird er rechtlich unterstützt. Ein Tipp: Dies ist unbedingt erforderlich, bevor Miete einbehalten wird!
Etwas Positives: Eine Mieterin betonte, die Aktivitäten und Informationen der Mieterinitiative hätten ihr Mut gemacht, sich auch zu wehren.
Diesen Mut werden die Betroffenen weiter brauchen. Die Baustellen im Süntel- und Rodeweg sind weiterhin eine Zumutung. Ständig offene Eingangstüren, halsbrecherische Zugänge, Wintergärten, die nicht gelüftet werden können, etc. etc.
Demnächst werden die Nebenkostenabrechnungen für 2021 kommen: Während der Strangsanierung liefen in den leeren Wohnungen die Heizungen auf Hochbetrieb. Der Rat von Cornelius Blessin vom Mieterverein Göttingen, der dankenswerterweis an der Versammlung teilnahm und auf verschiedene Fragen kompetent antworten konnte: Diese Kosten sind aus der Abrechnung heraus- zurechnen!
Die Frage des weiteren Vorgehens der Mieterinitiative wurde nicht abschließend beantwortet. Ganz sicher aber wird es weitere Treffen der Mieterschaft geben, denn der persönliche Austausch ist immer wieder sinnvoll – auch wenn Bitterkeit, Frust und Galgenhumor aufkommt, wie im passenden Schlusswort einer
Mieterin: „ Wenn der (sogenannte) Mieterkoordinator uns „Guten Morgen“ sagt, hat er schon zweimal gelogen“
Es steht aber allen Mieter*innen weiterhin das Mieter*innentelefon zur Verfügung: 0178-5884649
Solche Erfahrungen machen wohl nicht nur LEG-Mieter:innen aus Grone. Widersprechen sie dem, was der Konzern seinen Investoren schreibt?
„Eine hohe Kundenzufriedenheit setzt voraus, dass Mieter sich jederzeit mit ihren Bedürfnissen und Problemen an uns wenden können. Hierfür bietet die LEG ihren Kunden vielfältige Möglichkeiten und Kanäle an, mit uns in Kontakt zu treten.“ (LEG Immobilien)
Jederzeit anrufen können Mieter:innen schon. Aber fast jeder vierte Anruf (23%) eines Mieters (aus welchem Grund auch immer : Beschwerde, Mängelanzeige, usw.) wird von der LEG nicht sofort angenommen und beantwortet wird, sondern macht wiederholte Anrufe nötig (schreibt der Konzern selbst im Geschäftsbericht 2021, Seite 116). Wann und wie die Anliegen der Mieter:innen konkret bearbeitet werden, dazu teilt der Konzern nichts mit. Die Kosteneffizienz – Steigerung der Mieteinnahme und Senkung der Bewirtschaftungskosten – bleibt auf jeden Fall ein zentrales Ziel des Unternehmens. Deswegen wird u.a. der Kundenkontakt immer mehr digitalisiert und kostengünstig der „robotergesteuerten Prozessoptimierung (RPA)“ überlassen. 53 Robots und Cobots sind breits im Einsatz (so der zitierte Geschäftsbericht, Seite 18).
Wohnungslose brauchen einen guten Platz in der Innenstadt
Untere Maschstrasse 13b
Die Idee einer sozialen Stadt, in der alle Menschen gut leben können und auch – das ist eine Voraussetzung dafür – gut und bezahlbar wohnen können (oder überhaupt wohnen können !), diese Idee wird sicher von vielen geteilt. Wohl auch von Politiker*innen. Doch die Praxis der Stadtpolitik versteht unter einer sozialen Stadtentwicklung ganz offensichtlich etwas anderes. Der Umgang mit der alten JVA hat dies gezeigt (https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2022/07/05/was-haben-alte-jva-und-hagenweg-20-gemeinsam/ ). Und auch der Umgang mit der Heilsarmee – gegenüber der alten JVA – macht die Realität sozialer Stadtpolitik in Göttingen deutlich. Dem hier wiedergegebenen offenen Brief des Waageplatz-Viertels (https://waageplatz-viertel.org/) vom 6.9.2022 ist nichts hinzu zu fügen.
Wohnungslose brauchen einen guten Platz in der Innenstadt – Unsere Nachbar*innen bleiben
Offener Brief an Petra Broistedt, Oberbürgermeisterin Stadt Göttingen
Sehr geehrte Frau Broistedt, am 11. September begehen wir deutschlandweit den Tag der Wohnungslosen. Ein Anlass für uns, Ihnen unsere große Sorge um unsere Nachbar*innen aus dem Wohn- und Übernachtungsheim der Heilsarmee mitzuteilen. Es drängt, dass die von der Stadt Göttingen unterbrochene Kommunikation mit der Unterkunft von Ihnen wieder aufgenommen wird. Ein weiteres Aussitzen und Nicht-kümmern droht in einem Desaster für uns und unsere Nachbar*innen zu enden. Auch wohnungslose Menschen verdienen eine sichere Zukunft und einen Platz in der Innenstadt. Es ist höchste Zeit, dass alle Beteiligten eine realisierbare, gute Perspektive entwickeln und vereinbaren. Die Stadt Göttingen ist Vermieter*in des Gebäudes Untere-Masch-Straße 13b, in welchem die Heilsarmee aktuell noch bis zu 21 wohnungslosen Menschen Obdach, Versorgung, Gemeinschaft und ein „Zuhause auf Zeit“ bietet. Die baulichen Zustände des Hauses sind jedoch – wie Sie vielleicht wissen – teils schlicht erschreckend. Es sei hier nur massiver Schimmelbefall im Keller genannt, der eine Sperrung von Räumen und den einhergehenden Ausschluss von Frauen bedeutet, sowie instabile Böden, Decken und gerissene Wände, die teils nur provisorisch geflickt wurden. Auch auf den zweiten Blick scheint die Stadt Göttingen ihren Pflichten als Vermieter*in nicht nachzukommen. Unserem Eindruck nach besteht offenbar seit Jahren kein Interesse, die Mängel zu beheben. Wir wissen, dass die Heilsarmee das Gebäude aufgrund der baulichen Mängel und der fehlenden Barrierefreiheit mittelfristig nicht mehr nutzen kann. Seit Jahren sind die Menschen daher händeringend auf die Entwicklung einer alternativen Immobilie angewiesen. Wenn es nach uns geht, in unserem Viertel – wir leben gerne zusammen. Aktuell wird jedoch nicht offen kommuniziert und nach wirklichen Lösungen gesucht. Dabei sollten die Gesundheit und das Wohlergehen aller Bürger*innen oberste Priorität der Stadtpolitik sein. Wir sind über die Hartnäckigkeit der Stadt Göttingen erschrocken. Bereits im Jahr 2011 stellte die Stadt den Bedarf für diese Einrichtung in Frage und sprach sogar von einer möglichen Kündigung der Verträge. Dies scheiterte jedoch am massiven Widerstand der Öffentlichkeit. Bei uns entsteht der begründete Eindruck, dass dies nun durch die berühmte „Hintertür“ erfolgen soll. Es scheint, dass die Stadt einfach auf Zeit spielt. Irgendwann wird ein Gutachten feststellen, dass im verfallenden Gebäude keine Menschen mehr wohnen können und dürfen. Dann war’s das für die Bewohner*innen der Heilsarmee. Selbstverständlich wissen Sie um die Verträge der Heilsarmee mit dem Land Niedersachsen, in denen Bedingungen für den Betrieb der Unterkunft festgeschrieben sind. Von einem Tag auf den anderen stünden unsere Nachbar*innen in einem solchen Szenario ganz wirklich auf unseren Straßen. Die gewachsene soziale Gemeinschaft mit teils langjährigen, auf Hilfe angewiesenen Bewohner*innen und engagierter fachlicher Betreuung wäre zerschlagen. Was denken Sie sich? Sollen die Wohnungslosen doch woanders hingehen? Sollen in Göttingen Wohnungs- und Obdachlose keinen Platz in der Innenstadt haben? Werden Sie sich mit bedauerndem Blick vor die Presse stellen und mitteilen, dass nicht die Stadt Göttingen, sondern das Land Niedersachsen die Schuld trägt, dass die Heilsarmee, als eine wichtige Anlaufstelle für Obdachlose leider nicht mehr in der Stadt Göttingen existiert – die Stadt habe eben so kurzfristig kein konzept-adäquates Ausweichquartier finden können? Was ist der verdeckte Plan? Soll auch das Gebäude Untere-Masch-Straße 13b an einen Investor gehen, anstatt es mit den bewilligten Fördermitteln aus dem Städtebauförderprogramm Sozialer Zusammenhalt zu sanieren? Wäre das „Innovation“ und „Ein Göttingen für Alle“ (P.B.)? Nachhaltig erschüttert hat uns auch der geschmacklose Vorstoß aus dem Bauausschuss, das Soziale Zentrum könne ja in das Gebäude der Heilsarmee gehen – ohne zuvor das Gespräch mit den Nutzer*innen gesucht zu haben. Und wissentlich, dass sich unser Konzept des Sozialen Zentrums nicht in diesem Gebäude realisieren lässt. Im übrigen werden wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Jahrelang hat die Stadt Göttingen für die Wohnungslosen in der Heilsarmee nicht angemessen gehandelt, im schlimmsten Falle Aktivität gezielt nur angedeutet. Wir Nachbar*innen aus dem Waageplatz-Viertel fordern die Stadt Göttingen auf wieder mit der Heilsarmee in Kontakt zu treten, dringendste Reparaturen/Instandsetzungen fachlich qualifiziert sofort ausführen zu lassen, die gewonnene Zeit für eine intensivierte Suche nach einer adäquaten Immobilie – am Waageplatz oder in Bahnhofsnähe zu nutzen.
Freundliche Grüße, Forum Waageplatz-Viertel
P.S.: Wenn der/die Leser*in den Eindruck hat, unsererseits würde übertrieben, so geben wir folgende Empfehlung: Nehmen Sie eine 20 Euro Spende in die Hand und begeben Sie sich auf den Weg zur Heilsarmee, um sich dort vor Ort das Desaster von der Heimleitung zeigen zu lassen.
In einer Presseerklärung vom 24.8.2022 begründet der Mieterverein Göttingen, warum er bei der Erstellung eines Mietspiegels für Göttingen nicht mitarbeiten wird, obwohl er seit vielen Jahren – wie die GöLinke und die Grünen im Stadtrat – einen Mietspiegel fordert.
Dieser ungewöhnliche, aber gut nachvollziehbare Schritt ist ein weiterer Hinweis darauf, welche Wohnungspolitik die Stadt Göttingen verfolgt: Die Interessen der Vermieter an möglichst wenig regulierten Mieterhöhungen gelten mehr als die Interessen der Mieter an bezahlbarem und einigermaßen rechtssicherem Wohnraum – Rechtssicherheit als Schutz vor ‚willkürlichen‘ Forderungen nach Mieterhöhung.
Die Göttingen regierende Koalition aus SPD/FDP/CDU wird sich von der Kritik wenig beeindrucken lassen. Denn schon seit Jahren bestreiten SPD und Stadtverwaltung mit fadenscheinigen Argumenten den Nutzen eines qualifizierten Mietspiegels. Jetzt zwingt sie ein Bundesgesetz, einen Mietspiegel zu erstellen. Gegen die Stellungnahme des Deutschen Städtetages1 und gegen der Rat von Experten, die u.a. am 15.2.2022 ausführlich im Bauausschuss dazu vorgetragen haben2, entscheidet sich die Göttinger Stadtregierung für den ‚einfachen Mietspiegel‘. Der Mieterverein kritisiert zu Recht die fragwürdigen Methoden, mit denen der Mietspiegel erstellt werden soll, wie auch die Steuergeldverschwendung des vermeintlich kostengünstigeren einfachen Mietspiegels.
Man kann nur staunen, wie die Universitätsstadt Göttingen, die „Wissen schafft“, regiert wird. Andererseits ist diese wenig mieterfreundliche Wohnungspolitik nicht neu und nicht überraschend. „Soziale Gerechtigkeit“, so heisst es im aktuellen Bündnisvertrag von SPD/FDP/CDU vom März 20223, erfordert die Förderung von „Innovation und Wirtschaft“, die Garantie der „Freiheit zur Selbstverwirklichung“ – auch für die wirtschaftlichen Interessen der Vermieter und ‚Investoren‘. Ein einfacher Mietspiegel erscheint der regierenden Koalition da wohl hilfreicher als ein qualifizierter.
Pressemitteilung des Mietervereins Göttingen e.V. vom 24.8.2022 ->
(K)ein Mietspiegel für Göttingen
Der DMB Mieterverein Göttingen e.V. wird sich nicht an einem Arbeitskreis zur Erstellung eines einfachen Mietspiegels für Göttingen beteiligen. Göttingen gehört zu den wenigen Großstädten in Deutschland, die noch nicht über einen Mietspiegel verfügen. Inzwischen ist jedoch aktuell durch Gesetz vorgeschrieben, dass alle Großstädte über 50.000 Einwohner – fristgebunden bis zum 31.12.2022- einen Mietspiegel erstellen müssen, sodass sich nunmehr auch die Stadt Göttingen gezwungen sieht, zu handeln. Daraufhin haben der DMB Mieterverein Göttingen e.V. und die Interessenvertretung der Vermieter, H. + G. Göttingen e.V., in einer gemeinsamen Erklärung die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegel gefordert, ihre Mitarbeit angeboten und die Stadtverwaltung aufgefordert, gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten. Hierauf erfolgte zunächst keine Reaktion der Stadtverwaltung. Nachdem der Rat der Stadt es – entgegen der nahezu einhellig vorgebrachten Expertisen – ablehnte, einen qualifizierten Mietspiegel zu erstellen, lud die Stadtverwaltung erst jetzt , kurz vor Ablauf der Frist, zu einer ersten Mietspiegelkonferenz ein, um auf dieser ihre Pläne vorzustellen. Das Ergebnis ist enttäuschend, wenn nicht geradezu ernüchternd. Der einfache Mietspiegel soll unter großem Zeitdruck mit Hilfe einer online- Fragebogenaktion erstellt werden. Dabei ist von Anfang an abzusehen, dass er seine Aufgabe von vorneherein nicht erfüllen kann und wird. Ein qualifizierter Mietspiegel wird im Gegensatz zum einfachen Mietspiegel nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt und hat die Vermutung der Richtigkeit für sich. Er kann bei Gericht den Entscheidungen zugrunde gelegt werden, es müssen keine teuren Sachverständigengutachten eingeholt werden und jeder kann im Vorfeld abschätzen, welche Miete ortsüblich ist und ob eine Mieterhöhung berechtigt ist oder nicht. Bei der Mietspiegelkonferenz waren – außer der Politik – nun nur die örtlichen Wohnungsgenossenschaften und die städtische Wohnungsbau vertreten, die großen Privatvermieter waren gar nicht erst eingeladen worden. Da bei den Genossenschaften und der SWB die Mieten nach deren Angaben etwa 2,00 € unter dem ortsüblichen Niveau liegen, würde der Mietspiegel – so die Verwaltung – angeblich „verzerrt“. Dies soll nach der Vorstellung der Verwaltung durch „statistische Gewichtungen“ ausgeglichen werden, was von der Methodik her schon im Ansatz zweifelhaft ist, gerade bei den in Göttingen kaum noch bezahlbaren Preisen für Neuvermietungen. Derartiges trägt aber erst recht dazu bei, das Vertrauen in einen Mietspiegel zu erschüttern und lädt regelrecht zum Prozessieren ein. Hinzu kommt, dass erhebliche fachliche Bedenken gegen das von der Stadt beauftragte Institut – Analyse und Konzept – bestehen. So hat Analyse und Konzepte für den Landkreis Göttingen für das Jahr 2012 ein Gutachten für die Kosten der Unterkunft beim ALG II erstellt. Dies ist im Berufungsverfahren vom Landessozialgericht 2017 für ungültig erklärt worden. Ähnlich ist es mit Gutachten für den Werra-Meißner-Kreis ergangen. Der DMB Mieterverein Göttingen ist nicht bereit, sich unter diesen Voraussetzungen an der Erarbeitung eines einfachen Mietspiegels für Göttingen zu beteiligen. Cornelius Blessin vom Vorstand des Mietervereins erklärte, dass sich der Mieterverein immer für die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels ausgesprochen habe. Nach Ansicht von Cornelius Blessin ist die Erstellung eines einfachen Mietspiegels – so wie die Verwaltung es hier aktuell vorhat – reine Verschwendung von Steuergeldern und dient nur dazu, – sozusagen im letzten Moment – der Stadtverwaltung formal die Anforderungen des Gesetzes erfüllen zu helfen. Er fordert erneut, dass sich die Stadtverwaltung mit den Interessenvertretern der Mieter und Vermieter zusammensetzt und ein Konzept erarbeitet, das vor Gericht hält und Rechtssicherheit schafft. Der DMB Mieterverein ist nicht bereit, nur um dem Gesetz Genüge zu tun, unter großem Zeitdruck an einem solchen Mietspiegel mitzuarbeiten, der seine Zwecke von vornherein nicht erfüllen kann und wird.
3 „Neues beginnt jetzt – Göttingens Zukunft gemeinsam gestalten. Vereinbarung über ein Haushaltsbündnis im Rat der Stadt Göttingen in der Ratsperiode 2021 bis 2026 zwischen SPD, CDU und FDP“ (http://www.cdu-göttingen.de/ -> Positionen – Bündnisvertrag; 26.8.2022)
„Stell´dir vor, alles steht fett in der Zeitung, und es ändert sich – N I C H T S“
Seit Beginn diesen Jahres gehören die Wohnungsbestände der Westgrund/Adler Group nun der LEG Immobilien SE, dem momentan zweitgrössten Immobilienkonzern in Deutschland. Die Übernahme bereitete der LEG einige (technische) Probleme, weil sie offenbar chaotische Verhältnisse vorfanden – nicht nur bauliche. Jetzt – nach einem halben Jahr – sind diese Schwierigkeiten weitgehend überwunden. Und es stellt sich in der Bewirtschaftung der Wohnungen und im Umgang mit Mietern die LEG-Normalität ein. Was dies für Mieter bedeutet, schildert ein Bericht in den aktuellen „Göttinger Blättern“, der hier wiedergegeben wird. Dass die Göttinger Verhältnisse kein Sonderfall sind, zeigt ein kurze Recherche im Internet (s.u.). Wie bei der Adler Group und bei Vonovia geht es auch bei der LEG in erster Linie darum, Gewinne und Dividenden für Aktionäre zu erhöhen, finanziert durch steigende Mieten bei „kosten-effizienter“ Bewirtschaftung.
Der folgende Text erschien in den Göttinger Blättern (Ausgabe: Juli/August 2022).
„LEG – „Stell´dir vor, alles steht fett in der Zeitung, und es ändert sich – N I C H T S“
„Wer kann, zieht weg“, so zitiert das Göttinger Tageblatt vom 1. Juni eine Mieterin der LEG in Grone Süd. Und es heißt dort auch, die „Kritik an der Neu-Eigentümerin“ reißt nicht ab.
(Teil I ) In vielen Staaten dieser Welt gibt es keine Pressefreiheit. Dort dürfen die unterschiedlichsten Dinge nicht geschrieben werden: Ob es Kritik an Staatsoberhäuptern ist oder den Machenschaften von Oligarchen. Die Pressefreiheit wird dort mit Füßen getreten. Wir alle kennen diese Horrorstorys und die Mutigen, die trotzdem unter großen Gefahren recherchieren, sind nur zu bewundern. Aber immer nur, wenn damit die Hoffnung verbunden ist, dass dies etwas ändere … Da haben wir es hier weitaus besser. Hier kann jeden Tag Kritisches in der Zeitung stehen. So können auch Immobilienkonzerne voll Inbrunst angeklagt werden: In dem o.g. GT-Artikel über die LEG wird der Vorsitzende der Göttinger Linken im Rat mit dem Vorwurf zitiert, „das Gebaren der LEG erinnert an Mafia-Methoden“. Er meint damit, dass die Mieter*Innen durch Drohanrufe unter Druck gesetzt werden. Und diese Methoden wirken tadellos: Es fand sich nur eine Mieterin, die bereit war, namentlich zitiert zu werden. Alle anderen haben Angst. Natürlich weist die LEG, die sich erst vor einigen Wochen im Bau- und Sozialausschuss den Ratsmitgliedern und der Verwaltung im besten Licht vorgestellt hat, diese Vorwürfe „aufs Schärfste“ zurück. – und das war’s dann … Alles ist hinlänglich bekannt: Zahlreiche Berichte im Göttinger Tageblatt haben wirklich ungeschönt die Zustände geschildert. Es gab Fernsehberichte im NDR, auf SAT 1 und in den sozialen Medien. Auch in den Göttinger Blätter gab es seit Monaten kaum eine Ausgabe, in der nicht darüber berichtet, geschimpft und gefordert wurde. Nur, Hand aufs Herz, liebe Lesende: Wen interessiert das eigentlich – außer den Mieter*innen, Mietaktivist*innen, linken Politiker*innen und einigen Gutmenschen noch? Dass die Menschen im Süntelweg seit einem Jahr auf der Baustelle hausen und es im Rodeweg genauso unerträglich weitergeht? Wirklich schlimm und zutiefst frustrierend ist jedoch, dass es den Investoren herzlich egal sein kann, was in der Zeitung steht. Es muss hier zu Lande gar nicht erst verboten sein, solch mächtige Akteure „aufs Schärfste“ anzugreifen. Man kann alles sagen, schreiben, auf Kundgebungen herausbrüllen, an Häuserwände sprayen oder was auch immer tun. Im Falle der Zustände auf den Baustellen der Adler-LEG nützt das alles leider – mit Verlaub gesagt – nichts. Was die Öffentlichkeit im Allgemeinen und ihre Mieterschaft im Besonderen von dem Investor halten, scheint diesen wenig zu interessieren. Sie scheinen im kapitalistischen System unbegrenzte Macht zu haben Auch das Interesse der Grünen am Groner Prekariat ist schnell erlahmt. Nach dem ganzseitigen Artikel jetzt Anfang Juni gab es von keiner politischen Seite irgendeine Reaktion. Um den alten Brecht zu zitieren: „Gehen nach Orten, die durch Gehen nicht erreicht werden können, muss man sich abgewöhnen. Reden über Angelegenheiten, die durch Reden nicht entschieden werden können, muss man sich abgewöhnen.“
Vielleicht deshalb nützt der Protest im „Schmuddelstadtteil“ Grone wenig und auf Zeitungsberichten werden sich Eier gepellt. Es wird Zeit, nach anderen Orten und Formen des Protestes zu suchen!
(Teil II ) Um auf die Frage von Seite 1 zurückzukommen, wen das eigentlich noch wirklich interessiert, was in ihrem Zuhause passiert: Es interessiert natürlich die Menschen, die seit einem Jahr in Dreck und Lärm und vielfältigem anderen Unbill leben müssen. Sie nehmen hin, dass sie das aushalten müssen. Denn selbst, wenn es vereinzelt noch rare Exemplare einer bezahlbaren Wohnung gäbe, haben sie keine Chance, sie zu bekommen. Weil sie Migrant*innen sind und/ oder zu viele Kinder haben, zu wenig Einkommen, mit kleiner Rente, in Hartz 4 oder in Grundsicherung, etc. Also ist für die Betroffenen nur Aushalten angesagt und dabei zu erleben, dass es den Rest der Stadt wenig schert. Vor Corona, zu Beginn der Modernisierung, hatte sich eine Gruppe von Mieter*innen als Groner Mieterinitiative in lockeren Abständen getroffen. Diese Gruppe ist leider sehr geschrumpft. Die Unterstützer*innen vom Verein IN-Grone und Grobian machen weiter, verteilen Flugblätter und sind ansprechbar für die Betroffenen. (hier noch einmal die Telefonnummer vom Mietertelefon: 0178-5884649) Auch wurden bereits zwei Treffen mit Vertreter*innen der LEG organisiert. Einerseits ist es ein wenig perfide, dass die LEG sich mit diesen Treffen brüstet; sie versucht den Kontakt zur Mieterinitiative für sich zu instrumentalisieren. Als Zwischenüberschrift in dem o.g. GT-Artikel nachzulesen: „LEG- Sprecher Roschin gibt an, im stetigen Kontakt und Austausch mit der Mieterinitiative zu sein“. Andererseits nutzen die Aktiven diese Möglichkeit und bringen hier die Forderungen der Mieter*innen ein – und die Gespräche sind weit weg von „einvernehmlich“. Das sagt der Pressesprecher natürlich nicht. Die Mieterinitiative informiert die Mieter im Anschluss an die Gespräche auch regelmäßig. Leider gab es auch dort mehr leere Versprechungen als belastbare Vereinbarungen zugunsten der Bewohnerschaft. Da kann es einem als Betroffene speiübel werden. Und vor allem kommt ein Gefühl von absoluter Vergeblichkeit aller Bemühungen und allen Protestes hoch und setzt sich fest. So traf die Verfasserin dieser Zeilen neulich einen älteren Herrn vor seinem Eingang im Süntelweg. Dort gibt es momentan keine Klingeln mehr an der Hauseingangstür. Deshalb steht diese immer offen. Der Nachbar erzählte von seiner kranken Frau und dass sie nicht wegziehen könnten und es hätte doch alles schon so oft in der Zeitung gestanden, aber geändert habe sich: Nichts. Im November letzten Jahres gab es eine große Kundgebung zu der Misere in Grone und allgemein zum Mietenwahnsinn. Eine tolle, gut besuchte Aktion. Es hatten sich sogar Mitglieder der Grünen-Ratsfraktion eingefunden und sich die Chaosbaustelle zeigen lassen. Eine kurze Zeit sah es so aus, als ob nicht nur die Göttinger Linke Interesse und Engagement für die Mieterschaft hätte. Schließlich gibt es ja seit Sommer 2021 bei der Stadt eine eigens eingerichtete Verwaltungsstelle, die sich um prekären Wohnraum kümmern soll. Letzten Winter haben sich auch die Grünen daran beteiligt, die Verwaltung zum Jagen zu tragen. Die zuständigen Fachdienste für Bauen, Gesundheit, Soziales etc. sollten dazu zu bewegt werden, die Adler bzw. LEG in die Pflicht zu nehmen. Doch lässt sich die Verwaltung leider in schöner Regelmäßigkeit von den Investoren abspeisen mit Versprechungen und geschönten Vorträgen. Man fragt sich, warum das so wie geschmiert funktioniert. Der Redakteur des Göttinger Tageblattes war beim letzten Ortstermin im Süntelweg in Grone sichtlich entsetzt von den Zuständen, in denen dort Menschen leben. Dies kommt in seinem Text und den Fotos gut rüber. Seine Frage: „Was tut eigentlich die Stadt gegen all dies?“ konnte die anwesende Mieterin nur mit einem sehr eindeutigen „Nichts“ beantworten. Die Unterstützer*innen im Stadtteil zerbrechen sich den Kopf, wie weiter vorgegangen werden kann. .Sie sind ihrerseits teilweise frustriert; auch von den Mieter*innen, die kaum noch zum solidarischen Protest zu bewegen sind, sondern resignieren. Das Erleben, dem Investor und der Situation am Wohnungsmarkt ausgeliefert zu sein, zermürbt.
Was also ist zu tun, kann überhaupt getan werden, um der Resignation entgegen zu wirken? Vielleicht mal andere Wege gehen?
Wie wäre es, den Protest in die Wohnviertel der städtischen Entscheidungsträger*innen zu verlegen? Politik und Verwaltung sind quasi die Geschäftspartner der Investoren. Diese haben ein Interesse daran, dort zu gefallen und im Bündnis für bezahlbaren Wohnraum zu verbleiben. Neue Wege, diese unheilige Allianz zwischen Stadt und LEG zu stören, müssen gefunden werden. Die geneigte Leserschaft ist herzlich eingeladen, sich dazu die linken Köpfe zu zerbrechen und (auch verrückte) Ideen zusammen zu tragen. Denn: Der Mietenwahnsinn geht uns alle an, auch wenn er nicht überall so gnadenlos wütet wie die ganze Zeit in Grone Süd. (bs)“
Dass Göttingen nicht ein Sonderfall der LEG ist, zeigen eine kleine Auswahl von Zeitungsmeldungen und Gegenanträge von kritischen Aktionär:innen auf der letzten Hauptversammlung der LEG.
Westfälische Nachrichten vom vom 17.08.2020: „Mieter des Wohnungskonzerns LEG demonstrieren – Hohe Rendite, wenig Rücksicht Die Mieterschutzvereine in Münster haben die Akten voll mit Beschwerden von Mietern des Wohnungskonzern LEG. Am Montag demonstrierten einige Mieter vor der münsterischen Niederlassung des Unternehmens…“ (https://www.wn.de/muenster/hohe-rendite-wenig-rucksicht-825973)
… in ihrer Nutzung, im Zustand, in den Eigentumsverhältnissen, in der Lage – nichts. Aber im Umgang der Politik mit gesellschaftlichen Ressourcen – vieles.
alte JVA (2022)
In beiden Fällen demonstriert die Politik in jüngster Zeit überdeutlich, wie sie mit der Stadt und mit Bürgerinteressen umgeht. Neu ist dies nicht; so verhält sich die Politik schon seit mindesten zwei Jahrzehnten. Aber aktuelle Äusserungen regierender Politiker:innen und Entscheidungen der regierenden Parteien im Stadtrat zu diesen beiden Beispielen erinnern daran, dass die Zeiten wohlfahrtsstaatlicher Politik und staatlicher Daseinsvorsorge längst vorbei sind. Stadt(entwicklungs)politik hat nun nicht mehr die Aufgabe, ökonomische Benachteiligungen durch gemeinschaftliche, kommunale Infrastrukturen zu dämpfen oder auszugleichen. Stadtpolitik hat nicht mehr den Anspruch, Märkte – Wohnungsmärkte, Bodenmärkte, Infrastrukturmärkte – einzuhegen und zu regulieren, vielmehr regiert sie im Dienste der Märkte. Das bekommen vor allem jene in der Stadt zu spüren, die nicht zu den ökonomischen Eliten gehören und/oder sich nicht als Unternehmer präsentieren.
Fall 1 – Hagenweg 20
Die Probleme sind seit vielen Jahren bekannt. „Die Wohn- und Lebensverhältnisse dort sind in meinen Augen unzumutbar. Kein Kind sollte an so einem Ort aufwachsen, aber auch Erwachsene sollten nicht unter solchen Umständen wohnen und leben müssen“, so die damalige Sozialdezernentin der Stadt Göttingen (SPD)1. Die Unzufriedenheit der städtischen Politik ist offensichtlich. Auch dem Fraktionsvorsitzenden der CDU bleibt bei seinen Samstagsbesuchen im Frühjahr 2021 „angesichts der Zustände … die Spucke weg“.2
Und wie sieht die Reaktion der Politik aus?
„Die Verantwortung für den Zustand der Wohngebäude liegt alleine bei den Eigentümern. …Solange der Wohnraum nicht unbewohnbar ist – unglaublich, aber das ist hier nach den gesetzlichen Vorgaben noch nicht der Fall – hat die Stadt kaum Handhabe. … Aber nochmal: Die Gebäude gehören nicht der Stadt. Verantwortlich sind die Eigentümer – Eigentum verpflichtet!“, so die Sozialdezernentin3 .
Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende kritisiert die Eigentümer – „… in diesem Haus verdient keiner der Eigentümer das Prädikat, ein pflichtbewusster Eigentümer zu sein. Von Artikel 14 des Grundgesetzes sind wir hier weit entfernt.“ – , wenn auch deutlicher die mangelnde Fürsorge der Stadtpolitik beklagt wird.4
In beiden Fällen werden also einzelne Eigentümer kritisiert, aber nicht der (Wohnungs)Markt. Es wird auch kein staatlicher, korrigierender Eingriff in den Markt gefordert: Weder ein kommunaler Wohnungsbau5 zugunsten jener, die eigentlich nicht „wohnungsmarktfähig“ sind – aus finanziellen oder aus anderen Gründen. Noch wirksamere Kontrollen der Vermieter. Das haben die Parteien, die auf der kommunalen Ebene fehlende Möglichkeiten vielleicht bemängeln, auf der Landes- oder Bundesebene genau so beschlossen – im neuen Wohnungseigentümergesetz (WEG) oder im neuen Wohnraumschutzgesetz Niedersachsens.
Kommunale Politiker:innen beklagen die Profitgier der Eigentümer:innen, gegen die „Exzesse“ des Marktes unternehmen jedoch nichts6. Sie appellieren an die Eigentümer – „Eigentum verpflichtet!“ – und erklären damit, dass sie die politisch eingeräumte Freiheit des Privateigentums nicht beschränken wollen. Und die Mieter:innen im Hagenweg 20 werden auf das Recht verwiesen, auf die im Mietrecht geregelten Grenzen und Freiheiten der Vermieter:innen.
Fall 2 – alte JVA
Dieses Gebäude wird als Justizvollzugsanstalt nicht mehr gebraucht, eine neue Nutzung wird gesucht. Aus der städtischen Gesellschaft kommt der Vorschlag, die alte JVA als ein „soziales Zentrum“ zu nutzen:
„ein solidarisches Gesundheitszentrum mit medizinischer Grundversorgung, Prävention, Gesundheitsförderung und Beratung“, „neue Räume für Kinder und Jugendliche [verschiedener (sozialer) Herkunft] in der Innenstadt“, „Begegnungszentrum mit selbstorganisiertem Café, mit verschiedenen Räumen für Gemeinwesenarbeit“
Das Ziel der Initiative „Gesundheitskollektiv“ ist es, „den sozialen Zusammenhalt in der nördlichen Innenstand stärken“ indem „Bürger:innen aus ganz Göttingen“ ein „unkommerzieller Raum zur Verfügung“ gestellt wird.7
Die regierende Stadtpolitik diskutiert diesen Vorschlag nicht einmal. Sie will ihre Immobilie privatisieren und an einen „Investor aus Braunschweig“ verkaufen, der sich mit Co-Working-Spaces und ähnlichem gute Geschäfte erhofft. In einem nicht öffentlichen Ausschuss werden die SPD/FDP/CDU – Ratsmitglieder:innen diesem Verkauf von gesellschaftlichem Eigentum sehr wahrscheinlich zustimmen. Die politischen Begründungen einer Entscheidung zu Gunsten des Marktes ist hinlänglich bekannt: „Sachzwänge, Rechtslage, Finanzsituation oder Expertenwissen“ oder alles zusammen.
Zivilgesellschaftliche Initiativen und bürgerschaftliches Engagement prallen an solch einer unternehmerisch vorentschiedenen Politik ab.8 Wenn sie sich nicht selbst von vorneherein der Unternehmens- und Marktlogik unterwerfen, sondern „unkommerzielle“, solidarische Ziele verfolgen.
Gemeinsam ist den Beispielen alte JVA und Hagenweg 20 also, dass an ihnen ablesbar ist, was gemeinwohlorientierte Stadtpolitik heute beinhaltet: Die Entwicklung der städtischen Gesellschaft und der Stadt hat allein nach den Prinzipien und Methoden des Marktes zu erfolgen. Und dem Erfolg des Marktes zu dienen.
Die daraus folgenden wirtschaftlich negativen Ergebnisse – Armut, Mangel an bezahlbaren Wohnungen, marode Infrastrukturen bei wachsendem privaten Reichtum – sind eine „soziale Frage“, auf die es aber keine eingrenzende, kompensierende Antwort des Sozialstaates (mehr) gibt. Vorschläge für gemeinnützige Einrichtungen, die sich nicht einem ökonomischen Effizienz- und Rentabilitätskriterium unterwerfen, sind für regierende Politiker:innen, die doch vorgeben, die Interessen oder Bedürfnisse der wählenden Bürger:innen repräsentieren zu wollen, nicht relevant.
In einer marktkonformen Demokratie (Merkel) gelten die ökonomischen Bedürfnisse und Interessen grosser Teile der städtischen Gesellschaft – genauso wie die wohlfahrtsstaatlichen Ideen der 1970er Jahre – politisch nur noch so viel, wie sie der Markt als nützlich für sich bestimmt.
5„Könnte die Stadt nicht – wie während der Ankunft vieler Flüchtlinge ab November 2015 – schnell Unterkünfte bauen, um das Problem zu mildern? Das würde laut Sozialdezernentin Petra Broistedt am Ziel vorbei gehen. „Wir laufen dann Gefahr, dass die Eigentümer, sobald ihre Mietern anderen Wohnraum haben, sofort wieder vermieten.“ Für Broistedt würde so „die Abwärtsspirale in den prekären Immobilien nicht durchbrochen“. Das Schaffen von Ausweichquartieren würde die Menschen zudem weiter ausgrenzen.“ (HNA vom 22.12.2020)
6Mietwucher liegt nach Ansicht der Stadt nicht vor, die Mittel des Ordnungs- und Baurechts schöpft sie aus, aber diese Mittel seien – so die Sozialdezernentin – „stumpf“.
8„Die Bürger verlieren ihren Einfluss auf politische Entscheidungen, wohingegen Lobbyisten, ökonomische Eliten und insbesondere globale Konzerne ihre Macht ausbauen könne.“ (Nachtwey, O. 2018: Die Abstiegsgesellschaft. Frankfurt/M., S. 91)
Deutschlands größter Immobilienkonzern ist auch in Göttingen der größte ‚private‘ Wohnungsvermieter – wenn man genossenschaftliche und kommunale Wohnungen nicht zu Privat zählt. An über 215 Standorten (2020) in Göttingen verfügt die Vonovia über insgesamt 1.436 Wohnungen (Stand 2018), davon rund die Hälfte in der Weststadt: „Eisenbahnersiedlung“ in Grone Nord, Grone Auf dem Greite und im Blümchenviertel/Pfalz-Grona-Breite. Weitere Bestände konzentrieren sich in Weende (Ilmenauer Weg /Grüner Weg/Theodor-Heuss-Straße/) und in der Südstadt (Königsberger Straße). Darüber hinaus besitzt Vonovia Wohnungen in Geismar (Boecklinweg, Schulweg), Ebertal (Görlitzer Straße), Südstadt (Reinhäuser Landstraße) und in Weende-Nord.
Der aus der Deutsche Annington und der aufgekauften Gagfah hervorgegangene Immobilienkonzern, 2015 umbenannt in Vonovia SE, steht seit langen in der Kritik vor allem wegen teurer Modernisierungen, steigender Mieten und insbesondere wegen überhöhter Nebenkostenabrechnungen.
„In Leipzig, Dresden, Berlin oder München – in ganz Deutschland klagen Mieter über intransparente und überhöhte Nebenkostenabrechnungen durch den Konzern Vonovia. „Bei der Vonovia handelt sich um einen Konzern, der sowas auch in einer Geschäftsstrategie plant“, sagt Daniel Zimmermann vom Deutschen Mieterbund. Es handele sich um ein System und nicht um Einzelfälle.“ (mdr 5.5.2021)
Mietpreissteigerungen durch den Immobilienkonzern können für Göttingen erstmals kleinräumig und über den Zeitraum von fast 10 Jahren dargestellt werden. Umfangreiche Angebotsmietdaten auf Internetportalen, von der Value AG zur Verfügung gestellt, ausgewertet durch M. Mießner (Universität Trier) und H.D. von Frieling (Göttinger Bündnis „Gutes Wohnen für Alle“), zeigen folgende Entwicklungen:
Vonovia hat seit 2015 die (Angebots)Mieten drastisch angehoben. Im Mittel verlangt der Konzern 2020 eine um 47% höhere Quadratmetermiete gegenüber 2015 für ihre 1- bis 3-Zimmer-Wohnungen. Die Erhöhung der Mieten ist noch grösser, geht man von den Mieten der Jahre 2012 – 2014 aus, als ein Teil der Wohnungen noch der GAGFAH gehörte. Die 3-Zimmer-Wohnungen – das Segment mit den relativ niedrigeren Quadratmetermieten (siehe https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2022/03/25/mietenentwicklung-2012-2021/ )
– hat Vonovia seit 2012 sogar um 67% erhöht, während es im Mittel aller Anbieter in Göttingen +47% sind. Vonovias Mieten liegen 2020 zwar noch leicht unter dem Mittel für ganz Göttingen. Dennoch hat die Mieterhöhung durch Vonovia eine besondere Bedeutung für den Göttinger Wohnungsmarkt. Die überdurchschnittliche Steigerung hat nämlich ihren Grund vor allem darin, dass ein großer Teil der vor 10 Jahren noch sehr preiswerten Wohnungen verschwunden ist. In der Pfalz-Grona-Breite z.B. gab es 2012-14 noch Mieten von 5 Euro/qm bis 6 Euro/qm, heute liegen sie bei 8,50 Euro/qm. Diese preiswerten Mieten hat Vonovia ab 2015 konsequent und schnell angehoben. Die Grafik zeigt sehr klar, wie zunächst die Preise für 1-Zimmer-Wohnungen ansteigen und dann aber auch die für die anderen Wohnungsgrössen, vor allem für die 3-Zimmer-Wohnungen. Dass es sich um eine Ausnutzung der Marktsituation zur Steigerung der Unternehmensgewinne handelt, zeigt sich darin, dass die höheren Mieten in vielen Fällen verlangt werden, ohne dass Modernisierungsmassnahmen durchgeführt und umgelegt worden sind (wie das in einigen Quartieren wie Grone Nord und Ilmenauer Weg der Fall war).
Die rasche Durchsetzung der Mieterhöhung ist offensichtlich auch möglich durch eine hohe Fluktuation bei den Mietern. Die Zahl der von Vonovia inserierten Angebote steigt bis 2018 auf über 200 im Jahr an. Für jede 6. Wohnung ihres Bestandes hat Vonovia in 2018 neue Mieter gesucht. Dabei handelt es sich nicht überwiegend um kleine Wohnungen, die vielleicht auf studentische Nachfrage gerichtet sind. Deutlich über 50% der Angebote sind 3- und mehr Zimmer-Wohnungen, also das Segment familiengerechter Wohnungen.
Anzahl der Vonovia-Angebote in Göttingen (Quelle: Value AG)
Vonovia, einer der grössten „privaten“ Anbieter auf dem Göttinger Wohnungsmarkt, hat seit 2015 also erheblich dazu beigetragen, dass es – auch für Familien -immer weniger bezahlbare Wohnungen in der Stadt gibt.
Die Kehrseite – genauer der Zweck dieses „marktgerechten“ Verhaltens – ist den Geschäftsberichten des Immobilienkonzerns zu entnehmen. Der Konzern, einer der zu der von den in Göttingen regierenden Parteien SPD-FDP-CDU so umhegten und geschätzten Gruppe der „Investoren“ gehört, meldet einen Geschäftserfolg nach dem anderen. Die Dividenden der Vonovia-Aktionäre steigen stetig und beständig. Inzwischen fliessen nach Schätzungen 44% der Miete direkt in die Konten der Aktionäre! (Vonovia-Geschäftsbericht 2021: Die „Lösung“ bekommt Probleme: https://mieteraktionärin.de/category/konzerne/vonovia/; 9.4.2022)
Die kritischen Mieteraktionärinnen, unterstützt von zahlreichen weiteren Mieterinitiativen, rufen daher auf zurVoNO!via-Demo 2022.
Dazu findet in Göttingen Veranstaltung am 13.4.22. um 19 Uhr in der Oberen Masch 10 Veranstaltung statt!
Seit nun fast 10 Jahren steigen die Angebotsmieten in Göttingen – kontinuierlich Jahr für Jahr. Gemittelt über alle Ausstattungen, Baualter und Lagequalitäten sind die Angebotsmieten von 7,19 Euro/qm im Jahr 2012 auf 10,34 Euro/qm im Jahr 2020 angestiegen und 2021 noch einmal auf 10,61 Euro/qm. Das ist eine Steigerung 2012-2021 um 48,2%. Für Wohnungen, die nach 2018 errichtet wurden, wurde im Mittel sogar 12,18 Euro/qm verlangt.
Die Angebotsmieten sind besonders stark angestiegen zwischen 2012 und 2016. Seit 2019 steigen sie wieder deutlich, und das bei sinkender Einwohnerzahl.
Die Erhöhung der Angebotsmieten betrifft alle Wohnungsgrössen. Die Preiserhöhungen haben zu einer – fast parallelen – Verschiebung der Kurven geführt haben. Die 1-Zimmer-Wohnungen haben (2020) mit 12,01 Euro/qm die höchsten Quadratmetermieten. Die 3-Zimmer-Wohnungen kosten im Mittel 9,29 Euro/qm. Prozentual gesehen sind die Angebotsmieten für die 3-Zimmer-Wohnungen allerdings am stärksten gestiegen.
Dies sind erste Ergebnisse einer grösseren Untersuchung, die anlässlich des Housing Action Days zur Verfügung gestellt wurden.
Auf der Grundlage umfangreiche Datensätze der Value AG (ehemals empirica) wird an der Universität Trier (Jun.-Prof. Mießner) zur Zeit eine Untersuchung zur Entwicklung der Angebotsmieten in Göttingen seit 2012 durchgeführt. Die vollständige Untersuchung wird in einigen Wochen vorgestellt werden.
Ein Beitrag des Wirtschaftsgeografen Hans-Dieter von Frieling
Modell des Liesel Quartiers (Wertgrund
Dokumentation
Die Dokumentation gibt einen Überblick über den bisherigen Planungsverlauf auf der Grundlage von Protokollen des Rates der Stadt Göttingen (und seinen Ausschüssen) sowie Artikeln der lokalen Printmedien. Soweit nicht anderes angegeben ist, ist die Quelle das Protokoll der öffentlichen Sitzung des jeweiligen Datums (https://www.goettingen.de/rathaus/oeffentliche-sitzungen.html). BA = Bauausschuss. Kommentare und Einschätzungen des Planungsvorhabens folgen später. Kritik, Ergänzungen, Korrekturen sind willkommen.
19.02.2021
Wertgrund Wohnpartner GmbH kauft von den Objekt- gesellschaften von BaseCamp Student und dem European Student Housing Fund ein ca. 37.000 qm großes Grundstück (Fläche A in der Liegenschaftskarte) und plant die Entwicklung und den Bau von rund 650 Wohnungen „nahezu ausschließlich Mietwohnungsbau … , rund 40 Prozent der Wohnungen sollen geförderte und preisreduzierte Wohnungen werden. Zusätzlich plant WERTGRUND im Quartier eine Kita.“ (Pressemitteilung derWertgrund Wohnpartner GmbH)
April 2021
Wertgrund Wohnpartner GmbH verkauft eine Teilfläche von 13.605 qm an Wertgrund WohnSelect D zum Preis von 6,4257 Mio. €, was 472 €/qm unbebaut entspricht (nach Wertgrund Objektliste vom 30.11.2021). Beides sind Tochtergesellschaften der Wertgrund Immobilien AG. Wertgrund WohnSelect D ist ein Fonds der WohnSelect Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH, die ebenso wie Wertgrund Wohnpartner GmbH eine Tochtergesell- schaft der Wertgrund Immobilien AG, München, ist.
18.11.2021
Wertgrund präsentiert ihr Konzept dem Bauausschuss der Stadt. Statt 650 Wohnungen, wie im Februar 2021 noch angekündigt, geht es jetzt um 570 Wohnungen. Entsprechend den Verpflichtungen aus dem Städte- baulichen Vertrag sollen 40% „gefördert, preisgedämpft oder preisreduziert sein werden“ – also 30%-Quote plus 10 % preisgedämpft/preisreduziert. Was gedämpft und reduziert unterscheidet, bleibt unklar. . Laut Städtebaulichem Vertrag § 4 sind für 10% der Geschoss- wohnungen: „über einen Zeitraum von 10 Jahren ein Mietzins (Kaltmiete) von maximal 10,- EUR/ qm Wohn- fläche zu verlangen; Mietanpassungen in Höhe der vom statistischen Bundesamt festgestellten allgemeinen Kostensteigerung sind jedoch zulässig“. In der Präsentation sind die Standorte für die preisreduzierten Wohnungen angegeben. Was preisgedämpft meint, wird nicht erläutert, im Bauausschuss auch nicht nachgefragt. Hinzu kommen laut Vertrag 10 Wohnungen für von Obdach- losigkeit bedrohte Menschen, für welche die Stadt für 10 Jahre ein unmittelbares Belegungsrecht erhält.
Zudem wird Wertgrund entsprechend dem Vertrag eine Kita und einen Spielplatz errichten, die Gebäude mit Fern- wärme energetisch versorgen und darüber hinaus die Dächer begrünen – und einen „Wald-Saum“ pflanzen. Aös energetischer Standard ist der 55 KfW-Standard vorgesehen. Der Bauausschuss nimmt die Präsentation ohne grosse Nachfragen oder Kritik zur Kenntnis.
Immobilienfonds, Anlagestrategien und sozialer Wohnungsbau
Die Wertgrund Immobilien AG aus München hat mit dem „Liesel Quartier“, wie sie es nennen, ein weiteres grosses Neubauprojekt in Göttingen gestartet. Mit den geplanten 560 Wohnungen und den 214 im Bau befindlichen am Nonnenstieg wird die Wertgrund 2024/25 mit fast 800 Wohnungen zu grossen privaten Anbietern auf den Göttinger Wohnungsmarkt gehören.
Mit dem Grundstückskauf Anfang 2021 hat die Wertgrund auch den Städtebaulichen Vertrag übernommen, den die Vorbesitzer mit der Stadt 2019/20 geschlossen hatten. Das betrifft den Umfang sozial geförderter und preisreduzierter Wohnungen, den Bau sozialer Infrastrukturen wie Kindertagesstätte und energetische Vorgaben. Auch die im November 2021 vorgestellte, geplante Baustruktur unterscheidet sich nicht wesentlich von der im Mai 2018 dem Bauausschuss von der BaseCamp Student präsentierten. Die geplante Bruttogeschossfläche für Wohnen ist gegenüber 2018 rd. 10% geringer. Abers sonst handelt es sich im Wesentlichen nur um eine Eigentümerwechsel.
Warum engagiert sich Wertgrund hier mit rd. 180 Mio.Euro an Investitionen? Und warum ist es für den Investor kein Problem, 40% der Wohnungen zu „sozialen“ Preisen anzubieten?
Die Antwort auf die erste, rhetorische Frage lautet natürlich: Das Unternehmen sieht darin eine hoch rentable Investition. Die Wertgrund Immobilien AG betreibt verschiedene Immobilienfonds, unter anderem den Fond Wertgrund WohnSelect D, an den der Projektentwickler Wertgrund Wohnpartner ein grosses Grundstück für rd. 200 Wohnungen bereits weiter verkauft hat. Dieser Fonds ist mit einem Volumen 372 Mio. € (31.5.2021) zwar relativ klein, aber ein Spitzenreiter unter den offenen Immobilienfonds in Deutschlad, was die Renditen betrifft (über 10 Jahre 7,18% pro Jahr) (vgl. auch https://www.finanzen.net vom 15.8.2021; s. Grafik). Nicht überraschend, dass zwei Kapitalerhöhungen 2021 mehrfach überzeichnet waren. An Anlage suchendem Kapital mangelt es offenbar nicht, im Gegenteil. Und der Mietwohnungsbau ist eine höchst lukrative und „zukunftssichere“ Kapitalanlage.
Das leitet über zur zweiten Frage, warum sozialer Wohnungsbau kein Investitionshindernis ist.
Der Fonds-Verwalter Wertgrund präsentiert sich seit einiger Zeit sozial engagiert und ESG-orientiert – so z.B. auf der „Berliner Immobilienrunde“ Februar 2020, in Interviews oder auf der eigenen Homepage. „In der Privatwirtschaft wird ESG-konformes Investieren wichtiger.“ (Wertgrund Pressemitteilung vom 31.3.2021) Göttingen ist für diese Unternehmenspolitik offenbar ein guter Standort.
„Göttingen ist ein geeigneter Investitionsstandort für uns und passt wunderbar zu unserer Strategie, in attraktiven Universitätsstädten Wohnungsbau zu erwerben oder zu realisieren, der unseren hohen ESG-Ansprüchen gerecht wird“, erläutert Thomas Meyer, Vorstandsvorsitzender der WERTGRUND Immobilien AG“. (Wertgrund Pressemitteilung vom 9.2.2021)
Es gibt natürlich auch „harte“ ökonomische Fakten, die für eine geänderte Investitionspolitik sprechen.
In einem am 11.9.2021 von www.finanzen.net veröffentlichten Interview erklärt Meyer, warum Wertgrund die Investitionsstrategie ändert und weniger Bestandsimmobilen kauft, dafür neu baut: „Bestandsimmobilien sind immer teurer geworden, doch die Mieten haben nicht nachgezogen. Das hat die Renditen gebremst. Im Neubau gibt es attraktivere Renditen. Einerseits weil die Kaufpreise in Relation zu den Jahresmieten niedriger sind. Andererseits wird der Neubau wohl weniger durch die Politik reguliert werden, um ihn nicht abzuwürgen.“
Zudem ist sozialer Wohnungsbau rentabel: Wertgrund hat 2021 von einem Beratungsunternehmen, Bulwiengesa, den Markt für geförderte bzw. zu fördernde Wohnungen durchleuchten lassen. Bulwiengesa bestätigt, dass sich Investitionen in gefördertes Wohnen für Anleger lohnen würden „trotz geringer Renditen“: „Das sind in erster Linie drei Aspekte: Erstens habe ich praktisch kein Vermietungsrisiko und wenig Fluktuation, stattdessen sichere Mieteinnahmen und damit stabile Cashflows. Zweitens setzen Investoren mit der Anlage in gefördertes Wohnen auf ein nachhaltiges Investment, genauer: den sozialen Faktor unter den ESG-Kriterien. Drittens profitiere ich als Investor von einer immensen Wertsteigerung nach Auslaufen der Bindung, wenn die Wohnungen zum Marktniveau vermietet werden können.“ (Adami von Bulwiengesa AG , https://www.wertgrund.de/aktuelles/infothek/interviews/)
Ein Manager eines mehrfach grösseren Immobilienfonds, der HausInvest, mit dem Wertgrund zusammen arbeitet, erläutert ähnlich: „Selbst Normalverdienern fällt es in München oder Frankfurt zunehmend schwer, am freien Wohnungsmarkt fündig zu werden, und Berechtigte warten zum Teil jahrelang erfolglos auf die Zuteilung einer passenden Wohnung. So kommt es, dass eine geförderte Wohnung nie lange leer steht. Ist der Förderzeitraum dann einmal abgelaufen – je nach Bundesland nach 15 bis 30 Jahren –, können bei Neuvermietungen marktgerechte Mieten abgerufen und die Renditen entsprechend gesteigert werden.“ (https://www.wertgrund.de/aktuelles/infothek/interviews/)
Wertgrund fasst das für die Anleger zusammen: „Als Teil zeitgemäßer Fondsprodukte eignen sich Sozialwohnungen ideal als defensive Beimischung: Der enorme Nachfrageüberhang bewirkt, dass die Vermietung dieser Wohnungen so gut wie garantiert ist. Anleger profitieren also von konstanten Mieteinnahmen und von den Wertzuwächsen der Immobilie selbst. Sozialwohnungen unterliegen dabei stets einer gesetzlichen Frist der Preisbindung. Nach Ablauf dieser Frist können die Wohnungen zu marktüblichen Preisen vermietet werden.“ (https://www.wertgrund.de/wohnimmobilienfonds/projektentwicklung/sozial-gefoerderter-wohnraum/; 2.1.2022)
Das Land Niedersachsen hat 2021 sein Wohnraumfördergesetz angepasst: „Im Fokus: die Erweiterung der Wohnfläche für Ein- bis Zwei-Personen-Haushalte auf bis zu 60 Quadratmeter Wohnfläche – damit verfolgt das Land das Ziel, den Wohnungsbau qualitativer zu gestalten. Weiterhin sollen bis 2030 40.000 sozial geförderte Wohnungen entstehen Dafür gibt es neben Fördersätzen und Tilgungszuschüssen außerdem eine Anhebung der berücksichtigungsfähigen Gesamtkosten.“ (https://www.wertgrund.de/wie-sieht-es-mit-dem-sozialen-wohnungsbau-aus-der-status-quo-im-september-2021/)
Und nicht zuletzt ist Göttingen eine Universitätsstadt mit einem grossen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Wertgrund findet in der Studie von Holm et. al. (Böckler-Stiftung, 2021) bestätigt, dass – wie Wertgrund zitiert – der „Realversorgungsgrad“ (d.h. u.a. Mietbelastung unter 30%) sich im Zeitraum 2006-2018 in kaum einer Grossstadt so sehr verschlechtert hat wie in Göttingen. Das sichert Nachfrage und stabile Casjhflows.
„Sozialer Wohnungsbau als wertstabiles Investment“, schreibt Wertgrund. „Der öffentlich geförderte Neubau ist spannend. … Der Investitionsansatz, den wir unter anderem mit dem Liesel Quartier in Göttingen verfolgen, hat eine soziale Komponente und ist zukunftsstark.“ (Meyer (Wertgrund) nach Das Investment vom 9.12.2021)
Der Beitrag der „Investoren“ zur Lösung der „sozialen Frage“ besteht darin, dass der Staat über Förderprogramme die für den Profit zu geringe Zahlungsfähigkeit von Mietern aus Steuermitteln erhöht, damit rentable Investitionen möglich werden. Die Renditen sind anfangs moderat. Aber nach Ende der Bindungsfrist ermöglicht die Vertragsfreiheit höhere, marktgerechte Mieten. Wertsteigerungen und höhere Mieteinnahmen erwirtschaften dann auch „marktübliche“ Renditen.
Was das sozial bedeutet, zeigen ja gegenwärtig die Sozialwohnungsbestände der 1970er Jahre, bei denen die Bindungsfristen ausgelaufen sind.
SPD-Politiker:innen werden über Immobilienunternehmen wie Wertgrund wohl zufrieden sein, denn hier wird ihre Vorstellung vom harmonischen „Ohne Investoren geht es nicht“-Sozialstaat ein wenig Wirklichkeit.
.Die „Wohnungsfrage“ wird auf diese Weise nicht gelöst.
Ein Beirag des Wirtschaftsgeografen Hans-Dieter von Frieling
Gelbe Fläche: Gebiet Bebauungsplan Nr. 249 Holtenser Berg, rot umrandet: Grundeigentum der Klosterkammer Hannover. (Quelle: Bauausschuss Stadt Göttingen, 23.8.2018; eig. Erhebung
Dokumentation
Die Dokumentation gibt einen Überblick über den bisherigen Planungsverlauf auf der Grundlage von Protokollen des Rates der Stadt Göttingen (und seinen Ausschüssen) sowie Artikeln der lokalen Printmedien. Soweit nicht anderes angegeben ist, ist die Quelle das Protokoll der öffentlichen Sitzung des jeweiligen Datums (https://www.goettingen.de/rathaus/oeffentliche-sitzungen.html) Kommentare und Einschätzungen des Planungsvorhabens folgen später. Kritik, Ergänzungen, Korrekturen sind willkommen.
10.03.2016
GEWOS stellt neue Prognose des Wohnflächenbedarfs 2030 vor (→ erforderlich seien 97 ha Wohnbauflächen in der Stadt)
21.04.2016
Stadtverwaltung legt Wohnbaulandkonzept vor
19.05.2016
Beschluss im Bauausschuss zur Entwicklung von vier neuen Baugebieten für insgesamt rd. 500 Wohn- einheiten – Grone Greitweg Nord, Hetjershausen- Wakenbreite, Holtenser Berg Nord, Zimmermannstrasse. Für die beiden letzten ist der FNP von 1975 zu ändern, um ein Bebauungsplan- verfahren eröffnen zu können
Grundeigentümer sind die Klosterkammer (Hannoverscher Klosterfonds) (ca. 6,2 ha), die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) (ca. 4,3 ha), Stadt Göttingen (ca. 0,5 ha) und die Teilungs- + Verkopplungsinteressentenschaft Holtensen (ca. 0,2 ha).
23.08.2018
Im Bauausschuss stellen die Entwicklungsträger (Klosterkammer Hannover und Niedersächsische Landentwicklungsgesellschaft (NLG) und ihr Kasseler Planungsbüro „Bankert, Linker & Hupfeld“ erste Konzeption vor :
• Geschosswohnungsbau und verdichteter Einfamilienhausbau • Einbindung in den vorhandenen Siedlungsbestand • aber: Neuer Quartiersbaustein mit eigener Identität • bezahlbarer Wohnraum (30 % geförderter Wohnungsbau) • eher mittleres + niedriges Preissegment
06.09.2018
Stadtverwaltung: Die Präsentation „Entwicklung der Wohnbau- flächen“ im Bauausschuss vermerkt den „Holtenser Berg“ mit 200 neuen Wohneinheiten.
11.09.2018
Vorstellung des Projekts „Holtenser Berg-Nord“ im Ortsrat Holtensen:
28.01.2019
Bürgerversammlung (mit 200 Bürgern/Interessierten): Kontroversen über die Verkehrserschliessung, die Ent- wässerung und die zu hohe Wohndichte.
11.02.2019
Bürgerversammlung im Nachbarschaftszentrum (NBZ) Holtenser Berg: Nachbesprechung zum 28.1.2019
07.03.2019
Die Stadtverwaltung beauftragt das Büro PGT Umwelt und Verkehr GmbH (Hannover) mit der Prüfung von 7 Varianten der Verkehrserschließung. Baudezernent Dienberg berichtet, mit dem Beginn des Bauleitplanverfahrens sei noch im Laufe diesen Jahres zu rechnen.
20.06.2019
Beschluss des Bauausschusses zur Verkehrserschließung des Europaquartiers. Gutachter PGT: „.. dass die neu entstehenden Verkehre auch im finalen Ausbaustadium problemlos über das vorhandene Straßennetz abgewickelt werden können. Eine zweite Anbindung ist daher nicht zwingend erforder- lich, …“ (Bauausschuss vom 20.06.2019) Ortsrat Holtensen: Vorstellung der Verkehrsuntersuchung
01.07.2019
Informationsveranstaltung im NBZ Holtenser Berg: Schwerpunkt „Verkehr“
19.11.2019
Ortsrat Holtensen: Vorstellung des Entwässerungskonzeptes
25.02.2021
Bürgerversammlung Online:„Diskussion“/ Erläuterung des Planungsstandes und der drei städtebaulichen Entwürfe
02.02.2021 bis 21.04.2021
Interaktive Webseite http://www.europaquartier.de: Möglichkeit der informellen Beteiligung zur Qualifizierung der drei städtebaulichen Entwürfe
20.05.2021
Im Bauausschuss Projektvorstellung, Ergebnisse der Online-Bürgerbeteiligung und Vorauswahl des städte- baulichen Entwurfs
08.07.2021
Beschluss des Bauausschuss über den städtebaulichen Entwurf „Wohnhöfe“ als Grundlage der Bauleitplanung. Thema einer zweiten Erschließung „ist damit nicht abschließend entschieden“.
2021/2022
Geplant: Erstellung des Bebauungsplans
2023/2024
Geplant: Bezug des Europaquartiers
Zeile 1: Städtebauliches Modell „Wohnhöfe“ (links),“Gartennachbarschaften“ mit Beteiligungen der Öfentlichkeit, Zeile 2: Die drei zur Diskussion gestellten städtebaulichen Entwürfe Zeile 3: Modell „Wohnhöfe“ (links),Modell der geprüften Varianten der Verkehrsentschliessung Quellen: http://www.europaquartier.de, Vorstellung der Entwicklungsträger (Bauausschuss am 23.8.2018), Ergebnisse der Online-Bürgerbeteiligung & Vorauswahl des städtebaulichen Entwurfs (Bauausschuss am 20.05.2021).
Das Update (Datei unten, 5 MB): Beschreibung des bisherigen Planungsverlaufs
Inhalt :
1. Der Holtenser Berg und das Europaquartier: Geschichte 1.1 Der Holtenser Berg 1.2 Europaquartier 2. Zielvorstellungen für das geplante Wohnquartier Holtenser Berg Nord: Schöne Worte ? 2.1 Stadt Göttingen 2.2. Projektentwickler: Klosterkammer und NLG 2.3 Klimaschutz-Beirat 3. Konfliktfelder 3.1 Verkehrserschliessung/Mobilitätskonzept 3.2 Entwässerung 3.3 Bürgerbeteiligung 3.4 Infrastruktur 3.5 Rahmenplan ? 4. Fazit
Ein Beitrag des Wirtschaftsgeografen Hans-Dieter von Frieling
Es ist mal wieder so weit: Die Groner Mieter der „Adler“ dürfen sich auf einen neuen Vermieter einstellen. Nach rd. 6 Jahren verkauft die Adler Group ihre Wohnungsbestände in Göttingen, Wolfsburg, Wilhelmshaven und anderen Städten in Niedersachsen und Schleswig-Holstein an den Konkurrenten aus Nordrhein-Westfalen, die LEG Immobilien SE. Die LEG wird der sechste Eigentümer sein innerhalb von nicht einmal 20 Jahreni. Es gibt wohl keinen grösseren Wohnungsbestand in Göttingen, der so drastisch vom Immobilienpoker betroffen ist.
Die LEG Immobilien SE : Zweitgrösster Aktionär der LEG ist – September 2021 – mit einem Anteil von 9,3% Black Rock, nach MFS mit 10,5% (MFS gehört mehrheitlich der Sun Life Financial (SLF), Toronto (Kanada); weitere Grossaktionäre sind die Bank BNP Paris AM (3,2%) und der Vermögensverwalter Flossbach von Storch (2,9%). (nach https://ir.leg-se.com )
Ende 2015 veranschlagt die Adler Real Estate(ARE) den Marktwert ihres Wohnungsbestandes (17.332 Wohnungen) in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen auf rd. 770 Mio. €.i Aktuell verkauft sie diesen, auf 15.350 Wohneinheiten verringerten Bestand zum „Marktwert“ von knapp 1,5 Milliarden €.ii Selbst wenn dieses eine Art Notverkauf sein sollte, weil die Adler Group zu hoch verschuldet sein sollteiii, erstaunlich ist doch der enorme Wertzuwachs. Die Spekulation mit Immobilien hat sich ganz offensichtlich gelohnt. Und etwas anderes hatte die ARE, als sie 2015 die Westgrund und damit die Groner Wohnungen kaufte, auch nicht vor. Sie wollte die Immobilien nutzen als Basis für spekulative Finanzgeschäfte, die schnell viel Gewinn erbringen. Zu diesem Geschäftsmodell gehört es, ohne grosse Aufwendungen für Instandhaltung die Mieten zu erhöhen und durch Aufwertungen (Aufstockung, Modernisierung) den Wert der Immobilien zu steigern, um sie dann mit deutlichem Gewinn wieder weiter zu verkaufen. Diese Praktiken hat ein Papier des Vereins IN Groneiv schon im Januar 2019 deutlich beschrieben. Und so ist es auch gekommen.
Adler Group: Wohnein- Zeitwert Jahresnetto-
heiten kaltmiete (Mio.€)**
2021 H1 2017 2021***
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Göttingen 1.377 WE 158 Mio. € 4,8 6,1
Wilhelmshaven 6.890 WE 430 Mio. € 22,5 26,2
Wolfsburg 1.301 WE 174 Mio. € 6,0 6,5
Hannover 1.112 WE 138 Mio. € 5,1* 5,6
Kiel 970 WE 131 Mio. € 5,1* 5,8
zus. 11.650 WE 1.031 Mio. € 43,5 50,2
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(* für 2018,** der jeweiligen Bestände, *** Annualisierte Halbjahresmieten 1 – 2021.
Quelle: Adler Group 2021, Halbjahres-Finanzbericht 2021, S. 29; Adler Geschäftsbericht 2017. 17; Adler Halbjahresbericht 2018)
Was hier im Verkauf der Adler Group wie ein Finanz-Krimi sichtbar wird, ist ein seit über 10 Jahren bekanntes Modell der so genannten finanzialisierten Wohnungswirtschaft. Die grossen, börsennotierten Wohnungskonzerne wie Adler Group, Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG, Grand City Properties sind an ihrer Wohnungen nur als Quelle für Dividenden und als Grundlage für noch mehr Kredite/Anleihen und Geschäfte mit Schulden interessiert. Dass sie Wohnungen bewirtschaften, ist ein notwendiges, eher lästiges Übel. Sie gehen mit ihren Wohnungen daher völlig anders um als eine Wohnungsgenossenschaft, eine Städtische Wohnungsbau GmbH oder ein privater „Klein“Vermieter.
Der spekulierende Leerverkäufer Fraser Perring hatte behauptet, dass die Adler Group aufgrund zu hoher Schulden angeschlagen sei. „Tatsächlich ist das Verhältnis von Immobilienwerten zu Schulden in der Adler-Bilanz ungünstiger als bei anderen Wohnungsunternehmen“, so die SZ (s. Anmerkung 4 und 7) Der dazu häufig verwendete Kennwert LTV (Loan to Value) liegt bei der Adler Group immer noch auf hohen 54,7 (Bei der LEG beträgt der LTV-Wert 34,7; die Adler Group hat den höchsten LTV-Wert unter den grossen Immobilienkonzernen in Deutschland laut LEGi -siehe Grafik) (zu LTV und anderen finanziellen Kennziffern siehe auch „Göttingen Grone – Objekt spekulierenden Immobiliengesellschaften“ des Vereins für interkulturelle Nachbarschaft in Grone e.V., Januar 2019).
Die herrschende Politik hat das Geschäftsmodell solcher Immobilienkonzerne nicht unterbunden oder eingeschränkt. Im Gegenteil. Landes- und Bundesregierungen haben es mit steuerlichen Regulierungen (wie z.B. Share Deals) zumindest indirekt unterstützt. Stadt und SPD Göttingen haben nicht gerufen: Solche Investoren sind in Göttingen nicht willkommen. Umgekehrt – immer wieder wurden Kritiker und Warner zurechtgewiesen: Ohne Investoren geht es nicht.
Entsprechend diesem Motto wurden die Vorhaben der Adler – Aufstockung, fragwürdige Fahrstühle, energetische Modernisierung – begrüsst und zügig in Bebauungspläne umgesetzt. Im Oktober 2017 beschliesst der Rat, die Bebauungspläne aufzustellen, damit Adler 2018/19 mit den Arbeiten beginnen kann. Doch der Zeitplan scheitert – zum Glück für die Mieter in Grone. Kritik der GoeLinken und Widerstand der Mieter führt zu Verzögerungen, so dass für die Mieter nun die zwischenzeitlich gesenkte Modernisierungsumlage gilt.
Die Göttinger Stadtregierung hat sich immer wieder bemüht, deutlich zu machen, dass Investoren wie Adler nicht nur notwendig sind, sondern auch hilfreich beim Ziel, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Sie hat darauf verwiesen, das die Adler AG zu den Unterzeichnern des Göttinger Bündnis für bezahlbares Wohnen (August 2018) gehört. Adler habe im Städtebaulichen Vertrag auch die 30%-Quote für bezahlbaren Wohnraum unterschrieben, wenn sie auch nicht neuen, zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum schafft, wie es eigentlich gedacht ist. Nun ja, Investoren müssen auch Rücksicht auf ihre Aktionäre nehmen.
Dieses Göttinger Bündnis für bezahlbares Wohnen war und ist der durchsichtige Versuch einer Imagepflege. Es soll zeigen, dass die Stadt sich aktiv um mehr bezahlbaren Wohnraum kümmert und dass sie dafür die Unterstützung der privaten Wohnungswirtschaft gewonnen hat. Tatsächlich haben die Unternehmen mit ihrer Unterschrift keine Einschränkungen oder Verpflichtungen unterschrieben. Sie, auch die Adler AG, bekennen sich zu dem, was sie ohnehin vorhaben: mit Immobilien Gewinne zu erwirtschaften. Sie versprechen, dabei auch das Segment von bezahlbaren Wohnungen und Belegungsrechten ‚nach Möglichkeit‘ zu berücksichtigen. Für dieses Entgegenkommen bietet die Stadt Göttingen einen „vertrauensvollen Austausch“ mit der Immobilienwirtschaft, was für Unternehmen Gold wert sei kann.
Warum die SPD im Dezember 2016 überhaupt auf die Idee kommt, ein „Bündnis für Wohnen in Göttingen“ einzurichten, und was das zu tun hat mit der von CDU/FDP durchgesetzten Schuldenbremse und der dadurch kleingesparten Planungs- und Bauverwaltung, die so zum Bremsklotz für das „Bauen, bauen, bauen“ wurde, – das steht auf einem anderen Blatt der verfehlten rotgrünschwarzgelben sozialen Wohnungspolitik.
Der politische Entschluss, dass der „Markt“ die Wohnungsfrage zu lösen hat, ist offenkundig unerschütterlich. Auch wenn es in der Zusammenarbeit mit dem „Markt“, sprich den Unternehmen, knirscht, holpert oder gar nicht klappt. Das neoliberale Dogma wird nicht aufgegeben.
Die Göttinger Stadtpolitik hat nicht nur einmal erfahren, wie schwierig Investoren dieser Art wieAdler sind. Die Unternehmen verfolgen konsequent ihre privaten Gewinninteressen (was sie ja auch sollen) und sollen das dann aber auch so machen, dass soziale Interessen verwirklicht werden. Wie soll das gehen? Adler hat der Stadt wiederholt klar gemacht, wo die Prioritäten liegen: z.B. beim Kauf von Belegungsrechten Ende 2016, bei der Absicherung der 30%-Quote im Städtebaulichen Vertrag 2018/19, bei der fristgerechten Ankündigung der Modernisierungsmassnahmen 2020, bei der (Nicht-)Erfüllung des Städtebaulichen Vertrages über den Bau(beginn) einer dringend benötigten Kindertagesstätte 2021. Das wirtschaftliche Interesse des Unternehmens, das private Interesse der Bereicherung, hat Vorrang.
Konsequent wird das Treiben der „Miethaie“ so gut wie gar nicht reguliert. Share Deals z.B., durch die in diesem Verkaufsfall „Dutzende Millionen“ Grunderwerbssteuer gespart werden könnenvi, sind noch immer legal. Mieter müssen durch Mieterhöhungen der Wert der Immobilie steigern zu Gunsten der Aktionäre. Um rd. 27% (oder 1,20 €) ist die Quadratmetermiete in den Groner Adler-Wohnungen seit Ende 2015 gestiegen – auf derzeit durchschnittlich 6,12 €/qm netto kalt. Mit steigenden und oft auch überhöhten, falsch abgerechnete Nebenkosten müssen sich Mieter in Grone herumschlagen. Auf die energetische Modernisierung, im Kern ja sinnvoll und notwendig, haben sie keinen Einfluss, die drohenden Mietsteigerungen sollen sie hinnehmen wie den nächsten Starkregen.
Aber vielleicht tun sie es auch nicht und greifen zu „Regenschirmen“ oder drängen auf „Klimaschutzmassnahmen“ wie die Groner Mieterini und das breite Göttinger Bündnis „Gutes für Alle“. Sie fordern eine neue, soziale Wohnungspolitik: Statt Miete für Profite braucht es eine Vergesellschaftung der grossen Immobilienkonzerne und eine soziale Wohnraumversorgung als öffentliche Aufgabe.
Der aktuelle Immobilienpoker ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass so die dringlichen Wohnungsprobleme nicht gelöst werden.
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H.D. von Frieling , November 2021 Eine leicht gekürzte Fassung ist erschienen in: Göttinger Blätter, November 2021 __________________
Der grösste deutsche Immobilienkonzern, die Vonovia SE, ist auch in Göttingen der grösste private Wohnungseigentümer in der Stadt – nach Städtischer Wohnungsbau, Wohnungsgenossenschaft und Volksheimstätte.Vonovia ist nicht nur der grösste Immobilienkonzern, sonder auch super erfolgreich. Stolz berichtet der Konzern im Frühjahr 2023:
“Die erstklassige Bonität von Vonovia ermöglicht weiterhin einen uneingeschränkten Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten. … In einer Phase, die für den Immobiliensektor sehr schwierig war, hat Vonovia im November 2022 erneut ihren exzellenten Kapitalmarktzugang unter Beweis gestellt, den Anleihemarkt für die Immobilienbranche wieder eröffnet …” (p.35) usw.
Kurz gesagt, der Konzern ist exzellent kreditwürdig, weil er sicher und beständig exzellente Renditen erwirtschaftet. Die Dividende für die Aktionäre konnte Jahr für Jahr zuverlässig gesteigert werden.
“Dividendenkontinuität hat für Vonovia eine hohe Priorität, und eine angemessene Dividende ist auch im jetzigen Umfeld ein wichtiges Ziel, nicht zuletzt aufgrund einer wesentlichen Gruppe von Aktionären, die für ihr Investment eine angemessene Dividende erwartet.” (p.33)
Dieses Jahr soll die Dividende allerdings erstmals niedriger als im Vorjahr ausfallen. Eigentümer fordern “Kapitaldisziplin” – nicht Mietendisziplin. “Kapitaldisziplin” – nicht weil Vonovia 2022 weniger Gewinn gemacht hätte, der ‘operative Gewinn’ stieg im vergangenen Jahr sogar um 20%, denn das Vermietungsgeschäft lief stabil bei nahezu Vollvermietung. Doch angesichts des “jetzigen Umfeldes” – gestiegene Zinsen und hohe Inflation – soll der Konzern liquide bleiben: weniger Gewinne ausschütten, durch Verkäufe Schulden abbauen, Ausgaben, d.h. Investitionen, deutlich reduzieren.
Die für die Aktionäre so schmerzliche Einkommenskürzung, wenn statt 1,3 Milliarden Euro nur etwa die Hälfte verteilt wird, ist aber – so beruhigt der Vorstand die Aktionäre – nur vorübergehend. Die Konzernleitung ist sich sicher:
“Die Megatrends als Werttreiber des Geschäftsmodells bestehen unverändert fort. Der Wohnungsbestand von Vonovia ist faktisch vollvermietet und garantiert damit sichere und stabile zukünftige Cashflows. Die Wohnungsknappheit in den Ballungszentren sorgt unverändert für eine starke Nachfrage … , insbesondere vor dem Hintergrund, dass die politischen Neubauziele in Deutschland derzeit nicht erreichbar scheinen. Das operative Geschäft steht somit auf einem höchst soliden Fundament.” (p.38)
Was geht dieses schwer durchschaubare finanztechnische Zahlenwerk die Vonovia-Mieter an? Sie müssen die ‚Liquidität‘ herstellen und sichern – durch ihre Mietzahlungen. Sie können dem Zahlenwerk das Versprechen entnehmen, dass Vonovia weiterhin stetig die Mieten erhöht, um liquide’ zu bleiben. Um rund 3% pro Jahr hat Vonovia bisher die Mieten erfolgreich gesteigert, das soll es mindestens auch zukünftig sein, egal wie stark die Inflation die Mieter verarmt.
Bisher hat Vonovia nach eigenen Angaben die Mietpreise in ihren deutschen Wohnungsbeständen erfolgreich verteuert, um 29% stieg die durchschnittliche Quadratmetermiete (Bestand) von Ende 2015 bis Ende 2022. Für Göttingen sind nur die Angebotsmieten bekannt; die stiegen in dem Zeitraum um 53%.
Neben der Kaltmiete macht Vonovia durch ihre Tochtergesellschaften auch mit der Abrechnung von Nebenkosten gute Geschäfte. Für die Bewirtschaftung der Wohnungen hat sie Tochtergesellschaften gegründet, so dass die Vonovia (Tochtergesellschaft) der Vonovia (Zentrale), also Vonovia sich selbst Rechnungen schreiben und Gewinne berechnen kann. (Der Konzern nennt das eine “Value-added-Strategie”). Viele, manche Mietervereine sagen sogar, jede zweite Nebenkostenabrechnung sei überhöht und falsch.
Der Deutsche Mieterbund hat ausgerechnet, dass 2020 bereits 38% der Mieteinnahmen direkt an die Aktionäre gingen. Bei einer Kaltmiete von 600 Euro im Monat sind das über 225 Euro, die ein Vonovia-Mieter monatlich an die Aktionäre – an den norwegischen Staatsfonds, an Blackrock, an einen niederländischen Pensionsfonds usw. – zahlt.
In vielen Städten schliessen sich Vonovia-Mieter*innen in einer Mieterinitiative zusammen. Auch in Göttingen ist eine (neue) geplant. Gemeinsam gegen Vonovia! Zusammen gegen den Mietenwahnsinn!
Am 20.5.2023 findet anlässlich der Hauptversammlung der Vonovia-Aktionäre eine Demonstration in Bochum statt (https://gemeinsam-gegen-vonovia.de/)
Kommt am 20.5 zur Demo! Bringt Eure Nachbar*innen, Bekannten und Freund*innen mit!
(alle Zitate aus: Vonovia SE (2023): Geschäftsbericht 2022 Verlässlich handeln.)
Am 20.3.2023 haben Michael Mießner von der Universität Trier und Hans-Dieter von Frieling vom Göttinger Bündnis „Gutes Wohnen für Alle“ in einer Veranstaltung im Holbornschen Haus ihren „Wohnraum Atlas Göttingen II“ vorgestellt, der die Entwicklung der Angebotsmieten seit 2012 differenziert untersucht (Zugang zur Veröffentlichung ).
Danach ist die durchschnittliche Angebotsmiete bis 2023 kontinuierlich gestiegen und liegt Anfang 2023 rund 45% über der von 2012. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass in dieser Zeit das preisgünstige Segment von 3-Zimmer-Wohnungen vor allem in Grone und Weststadt sehr stark geschrumpft ist.
Die Stadt Göttingen versucht seit Anfang 2018 mit ihrem „Kommunalen Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in Göttingen“ (KHK) gegenzusteuern. Bisher weitgehend erfolglos. Warum die Stadt Göttingen – nicht total, aber prinzipiell – scheitert, war ausführlich Gegenstand des Vortrags wie der anschliessenden lebhaften Diskussion. Das KHK konzentriert sich im Kern auf zwei Strategien: den Kauf von Belegungsrechten als Ersatz für auslaufenden Preisbindungen und – Stichwort „Bauen, bauen, bauen“ – auf den Neubau von sozial gefördertem Wohnraum mit Hilfe der 30%-Quote (genauere Analyse des KHK hier) . Die Stadt will den 2017 von der GEWOS geschätzten Fehlbedarf an bezahlbaren Wohnungen bis 2030 beheben. Sie hat sich dafür jährliche Zielvorgaben gesetzt
Die Ergebnisse laut Angaben der Stadt in ihren drei bisherigen Monitoring-Berichten: a) Belegrechte, Mietpreisbindungen – Ziel der Stadt ist es, bis 2030 2.500 preisgebundene Wohneinheiten (WE) zu sichern oder jährlich durchschnittlich 210 WE; von den 2018-2021 angestrebten 840 WE sind nur 75 WE verwirklicht worden, also nicht einmal 10% – ein absehbares Scheitern. b) neuer sozial geförderter Wohnraum – hier beträgt die jährlich durchschnittlich zu schaffende Grösse laut Stadt 125 WE, was bei einer 30%-Quote 333 jährlich neue WE bedeutet. Da die Stadt (so gut wie) nicht selber baut, kann sie nur die Möglichkeit des Bauens für Private schaffen – also Planungs- und Baurecht. Seit 2018 hat die Stadt quotenrelevantes Planungsrecht für 1.433 WE geschaffen und damit für 501 neue, „bezahlbare“ WE. Viele davon werden erst nach 2025 realisiert werden. Bezugsfertig sind voraussichtlich Ende 2024 nur 134 neue, geförderte WE. Die Zielgrösse wäre aber 750 WE gewesen. Blickt man auf 2030, dem Ende des Planungszeitraums, so sind derzeit noch etliche weitere Wohngebiete geplant bzw. angedacht. So das Europaquartier auf dem Holtenser Berg, Lange Rekesweg in Grone, Südliche Feldmark I und II in Geismar und andere. Geht man davon aus, dass diese Gebiete nicht nur neu geplant sondern auch bebaut werden und zwar ganz mit quotenrelevantem Geschosswohnungsbau (was unrealistisch ist), dann würden bis 2030 noch einmal rd. 425 sozial geförderte WE hinzu kommen. Das Ziel des KHK wäre dann immer noch um rd. 38% verfehlt.
Woran scheitert diese Politik, den erforderlichen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Aus kommunaler Sicht liegt der Grund zunächst in der untauglichen Wohnraumförderpolitik des (zuständigen) Landes Niedersachsen. In der Tat gehört dass Land Niedersachsen seit über einem Jahrzehnt zu den Bundesländern, die am wenigsten einen Mittel für die Wohnraumförderung aufbringen. Die niedersächsischen Konditionen sind für private Investoren völlig unattraktiv, was die Landespolitik – seit Jahren – weiss, aber nicht ändert. Jetzt kommen die gestiegenen Baupreise hinzu, die (auch) den sozial geförderten Wohnungsneubau drastisch einschränken.
Doch der zentrale Grund für das Scheitern, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist nicht „Marktversagen“, weil „der Markt“ gar nicht diesen Zweck hat. Es ist – auf Landes- wie auf kommunaler Ebene – das Dogma, dass die Politik bezahlbaren Wohnraum zu einer Restgrösse macht, der von den Kalkulationen und den zufälligen Entscheidungen privater Investitionen abhängig ist. LEG und Vonovia stellen derzeit ihre Neubautätigkeit weitgehend ein, fahren Modernisierungen drastisch zurück und erhöhen konstant ihre Mieten – Pech für Haushalte mit geringen Einkommen, von ihnen – nicht von den Aktionären – wird Geduld erwartet. Sie werden vertröstet: In 10 oder 20 Jahren können sie vielleicht etwas besser Wohnen (oder auch nicht). Die Ratsherren und -frauen der Deutschlandkoalition in Göttingen interessiert das wenig. Sie bedauern das natürlich und verweisen – wie immer – auf die (selbst geschaffenen) Sachzwänge.
Die Argumente, dass nicht „der Markt“ versagt hat, aber ein prinzipielles Scheitern der Wohnungspolitik vorliegt – in Göttingen wie in Niedersachsen und anderswo – , wurde heftig diskutiert ebenso wie Alternativen, besonders in Bezug auf die Eigentumsformen.