Stadtentwicklung – Durch wen? Für wen?
Die EBR Projektentwicklung GmbH ist seit zehn Jahren in Göttingen aktiv. Sie hat u.a. die Sparkassenzentrale (2018) und für die Hardenberg-Gruppe das Hotel Freigeist (2018) neben dem Wissenschaftsmuseum realisiert, die Kindertagesstätte Montessori Kindernest am Habichtsweg (Klausberg) sowie ein Kompetenzzentrum für den Labordienstleister amedes auf der Siekhöhe (2024). Die EBR entwickelt auch Wohnprojekte; derzeit sind es drei:
Himmelsruh, Nonnenstieg und Zimmermannstrasse.
Die EBR präsentiert sich als zukunftsorientiertes, nachhaltig handelndes und sozial engagiertes Unternehmen, das Projekte entwickelt,
„die zu einer lebenswerten, vielfältigen und gesunden Stadtentwicklung beitragen … Lebendige Urbanität, Co-Living und Co-Working, Wissensmanagement oder Urban Manufacturing sind die Begriffe dieser Zeit. Gleichzeitig sehnen sich Eigentümer und Mieter nach einer gesunden Umwelt: Natur, gute Luft, viel Licht und möglichst viel Grün in direktem Umfeld.
Wir haben uns diese Ansprüche zur Philosophie gemacht: Wir denken und handeln ökologisch, sozial, ökonomisch, gesellschaftlich verantwortungsvoll. Vor allem jedoch nachhaltig. Auf diese Weise konzipieren und realisieren wir nicht einfach Immobilienprojekte, sondern schaffen nachhaltige, umweltfreundliche und gesunde Lebensräume zum Wohnen und Arbeiten. …
Wir gestalten die Stadt der Zukunft. Urban und umweltbewusst, gut für Flora und Fauna. Unsere energieeffizienten Gebäude nehmen sich die Natur als Vorbild.““
Auch das gesellschaftliche Engagement kommt bei EBR nicht zu kurz:
„Bei der EBR sind wir davon überzeugt, dass die vielversprechendste und nachhaltigste Stadtentwicklung eine Stadt der Quartiere ist. Diese Quartiere der Stadt der Zukunft sind naturnah gestaltet, vielfältig, lebendig und gesellschaftlich durchmischt.“
Diese Selbstdarstellung lässt „grüne Herzen“ sicher höher schlagen, zumal in den Projekten einiges davon auch umgesetzt wird: KfW-40-Standard, begrünte „Biodiversitäts“-Dächer, Fernwärme, Holz-Hybrid-Bauweise (zumindest im jüngsten Projekt Zimmermannstrasse), „wohltuende soziale Durchmischung im Sinne einer lebendigen Quartiersgemeinschaft“, Gewerbebauten nach dem Goldstandard der DGNB (ein Zertifizierungsunternehmen: Deutsche Gesellschaft für Nachhaltige Stadtentwicklung).
Doch: Für wen baut die EBR Wohnungen?
Himmelsruh 16-18: „Gesund. Bewusst. Leben.“

2022 fertiggestellt, KfW 55, Holz-Pelletheizung, Eichenparkett, Tiefgarage, usw.
18 Eigentumswohnungen: 3 Penthouses (152 qm, 196 qm, 224 qm), 11 4 Zimmer-Wohnungen (115 qm -143 qm), 4 2-Zimmer-Wohnungen (je 44,5 qm).
Die 4-Zimmer-Wohnungen kosten rd. eine dreiviertel Million Euro, d.h. etwa 5.400 €/qm. Sie sind (Januar 2023) bis auf zwei verkauft.
Atrium am Nonnenstieg „Wohnerlebnis in feinster Komposition“

KfW 40, 2 Gebäude, Bezugstermin 2024, Tiefgarage: 34 Stellplätze, zur Strasse hin 14 Mietwohnungen, im hinteren Gebäude 11 „großzügige“ Eigentumswohnungen mit 4-5 Zimmern (195 qm bis 257 qm), Preis 6.000 bis 6.500 €/qm (d.h. 1,2 Mio. € bis 1,5 Mio. € pro Eigentumswohnung).
„In drei Stadtvillen entstehen elf exklusive Wohnungen, die größtenteils dreiseitig orientiert sind beziehungsweise sich teils über zwei Geschosse erstrecken. Das Einfamilienhaus im Haus. Sie bieten freien Ausblick in die Umgebung und einen unmittelbaren Grünbezug in Form von Gärten, Loggien, Dachterrassen und Dachgärten. …Ganz gleich, ob für anspruchsvolle Pärchen oder Familien mit Kindern – neben einem luxuriösen Lifestyle in ruhiger und dennoch urbaner Lage bietet das ATRIUM Wertbeständigkeit in einem der begehrtesten Wohngebiete Göttingens.“
(https://www.immobilienscout24.de/neubau/ebr-projektentwicklung-gmbh/atrium/110786.html: 2-1-2023)
Zimmermannstrasse „ein Novum nachhaltiger Stadtentwicklung in Göttingen. Es setzt neue Maßstäbe, ist urban, sozial wertvoll und klimafreundlich konzipiert … ökologisch und gesellschaftlich ein wertvolles Wohnquartier ….“

110 Mietwohnungen, KfW 40, Fernwärme, Holz-Hybrid-Bauweise, Biodiversitätsdächer, Wohnungsmix aus 1- bis 5-Zimmer-Wohnungen mit 30% preisgünstigen Wohnungen, Vermietung ab Q2/2024.
Geismar Landstraße. „Wohnen im Grünen – Mittendrin.“

2 Wohnhäuser, KfW 70, 23 Eigentumswohnungen, eines der ersten Projekte der EBR in Göttingen, fertiggestellt 2015.
Für wen also entwickelt die EBR Wohnprojekte?
Für eine kleine, aber besonders zahlungskräftige, obere und oberste Mittelschicht, die sich statt eines Eigenheims am Stadtrand Wohneigentum in bester, urbaner Lage leisten will, ein werthaltiges, zukunftssicheres, nachhaltig korrektes Eigentum, dessen Biodiversitätsdach die Ausstattung und die wohl die kaum nachhaltig zu nennende Quadratmeter-Grösse der Wohnungen ‚kompensieren‘ soll.
Ein hilfreicher Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage in Göttingen sind diese Projekte nicht. Wohl aber ein erfolgreicher Beitrag für die private Spekulation mit Grundeigentum und Immobilien.
Projektentwickler sind oft eine moderne Form der Immobilienspekulation. Projektentwickler können Dienstleister sein und für einen Auftraggeber ein Projekt verwirklichen (hier z.B. amedes, Sparkasse, Hotel Freigeist, Kindertagesstätte); sie können aber auch – und nicht selten – ein ‚Zwischeninvestor‘ sein. Als Zwischeninvestor kauft das Unternehmen ein Grundstück, entwickelt eine Nutzungs-/Projektidee, lässt bauen und vermarktet dann das Projekt an (End)Investoren (z.B. als Eigentumswohnung). Ein Projektentwickler engagiert sich nicht dauerhaft für ein Quartier oder Wohnhaus, sondern ist als Zwischeninvestor darauf bedacht, marktfähige Produkte zu entwickeln und nach der Fertigstellung möglichst zügig und mit Gewinn zu verkaufen. Vor allem Eigentumswohnungen ermöglichen eine erhöhte Grundstücksspekulation.
(Wenn der Verkauf der Himmelsruh-Wohnungen vielleicht 12-13 Mio.€ erbringt und die reinen Baukosten bei grosszügig geschätzten 5.000 E/qm liegen, verbleibt für die Grundstückskosten leicht ein Betrag von 2 Mio. €, was rd. 640 €/qm bedeuten würde.)
Für die angestrebte, zügige Realisierung der Spekulation, d.h. den Verkauf der Eigentumswohnungen, ist eine geschickte Marketingstrategie sehr hilfreich. Die EBR setzt hier – offensichtlich erfolgreich – auf eine besonders zahlungskräftige Gruppe, die sich als ‚grüne’, urbane Elite versteht. Dies vermittelt die zitierte Selbstdarstellung der EBR .
Die EBR Projektentwicklung GmbH ist 2012 in Göttingen gestartet. Ihr Geschäftsführer war zuvor in Immobiliengeschäften in Österreich tätig mit Verbindungen zu anderen Immobilienfirmen in Wien, Feldkirch und Bayern. Die damalige Geschäfte haben ihn 2010 nach Göttingen geführt, um eine Gewerbeimmobilie zu sanieren („Innovationsquartier Tuchmacherweg“). Im Mai 2012 wird die EBR Projektentwicklung GmbH in das Handelsregister eingetragen und sie bietet kurz darauf für das IWF-Gelände – erfolgreich gegen die Stadt Göttingen. Die Realisierung der dort geplanten Bebauung verzögert sich aufgrund von Bürgerprotesten. 2018 verkauft die EBR drei Viertel des Geländes an den Immobilienfonds Wertgrund Wohnpartner 2 GmbH&Co KG – mit 100% Gewinn
(vgl. Wohnraum Atlas Göttingen 2021, S.23f.; https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2019/01/25/marktgesteuerte-stadtentwicklung-und-ihre-politische-durchsetzung-zum-teil-verkauf-des-iwf-gelaendes-an-wertgrund/#more-1254).
Die EBR behält ein Filetstück, das jetzt durch Atrium-Eigentumswohnungen ‚veredelt‘ wird.
Mittlerweile umfasst die EBR Group auch die EBR Immobilien Invest GmbH, die EBR Immobilienberatung GmbH und die EBR Wohnimmobilien GmbH (all drei im Januar 2018 im Handelsregister neu eingetragen). Ob die EBR in das Geschäft mit der Vermietung von Wohnungen einsteigt, bleibt – trotz des Projektes Zimmermannstrasse – fraglich. Möglich ist ja auch, bei günstiger Gelegenheit die im Bau befindlichen Häuser weiter zu verkaufen. Zum Kerngeschäft gehörte bisher jedenfalls die Spekulation mit Grundstücken und vor allem „aufgewerteten“ Grundstücken.
Derartige geschäftliche Praktiken, auch wenn sie noch so „grün“ erscheinen, sind nichts Neues. Der Mangel an verfügbarem Boden der Stadt wird auch hier ausgenutzt für ein erfolgreiches Geschäft, für eine private Bereicherung. Aus Sicht der Stadtgesellschaft und der sozialen Stadtentwicklung wird Zukunft hier in keiner Weise neu gedacht. „Die Stadt der Zukunft – Urban und umweltbewusst“, vielleicht „gut für Flora und Fauna“ – aber für zwei Drittel der Stadtgesellschaft ändert sich auf diese Weise nichts.
Auch die zwar nicht selbstverständliche, freiwillige Verpflichtung der EBR, 30% sozial geförderte Wohnungen zu errichten (Zimmermannstrasse), ändert nicht wesentlich etwas daran, dass die Stadtentwicklung von den Gewinnkalkulationen und willkürlicher Entscheidungen privater Eigentümer entwickelt wird und grosse Teile der Stadtgesellschaft das aushalten müssen.
Notwendig wäre eine planvolle Entwicklung von integrierten Wohngebieten, in denen ein öffentliches, vergesellschaftetes Wohnungsunternehmen Mietwohnungen nach modernstem ökologischen Standards baut, die aufgrund ausreichender öffentlicher Fördermittel zugänglich und leistbar für alle sind – und nicht nur für wenige mit hohem Einkommen.
Quelle: alle Fotos und alle Zitate soweit nicht anders genannt aus
(https://ebr-immobilien.com).