LEG (3)

Hohe Nebenkosten für die Mieter
Rechtsschutz für das Eigentum

In Grone haben die LEG-Mieter:innen existenzbedrohende Nebenkostenabrechnungen für das Jahr 2022 erhalten. Die von der LEG in Rechnung gestellten Nachforderungen sind in etlichen Fällen so hoch, dass sich der Rat der Stadt Göttingen genötigt gefühlt hat, eine Solidaritätserklärung abzugeben (GT 19.2.2024). Die (mit)regierende SPD formuliert in einem Ratsantrag vom 1.2.2024 dazu:

„Niemand sollte gezwungen sein, die Wohnung wechseln zu müssen, weil er/sie extrem gestiegene Heizkostennachforderungen nicht zahlen kann, die aus Verträgen über börsennotierten Gaspreisschwankungen resultieren, von denen er/sie nichts wusste und die er/sie selbst nicht beeinflussen konnte.“

Ob SPD-Politiker sich in dem von ihrer Partei ja tatkräftig mitgestaltetem Rechtsstaat auskennen, scheint nach der Veranstaltung letzte Woche fraglich. Die LEG hat nicht nur die Energielieferverträge öffentlich gemacht, sondern auch gleich ein von ihr beauftragtes Rechtsgutachten. Wenig überraschend kommt dieses Gutachten zu dem Schluss, dass die Forderungen der LEG rechtmässig und wirksam sind.

Ob diese Auslegung des Rechts vor Gericht auch Recht erhält, ist schwer einzuschätzen. Interessant ist aber, welche rechtlichen Bestimmungen sie heranziehen (können), um die Forderungen der LEG als rechtmässig zu begründen. Wen schützt der soziale Rechtsstaat?

Dass der Schutz des Privateigentums zum Kern des demokratischen Rechtsstaates gehört, ist ja bekannt. Doch verbreitet ist die Hoffnung, dass die Mieterrechte einen tauglichen Schutz vor den Zugriffen der Vermieter (vor allem bei Kündigung und Mieterhöhung und z.T. auch den Nebenkosten) bieten. Warum in diesem Fall der extremen Nebenkosten der Rechtsstaat die Vermieter, also die Eigentümer, nicht im Regen stehen lässt – so das Gutachten – , ist aufschlussreich.

Zunächst zum Sachverhalt, der Grundlage für die juristischen Auseinandersetzungen:

Die Westgrund Niedersachsen Süd GmbH, Tochterunternehmen der Adler Real Estate, schliesst wohl mit der Adler Energy Service GmbH, Berlin, einen Vertrag über die Lieferung von Wärme für ihre Wohnungen ab. 2017 schliesst die Adler Energie Service GmbH mit der mit enercity Contracting GmbH, Hannover, Tochtergesellschaft derenercity AG, Hannover, eine auf 5 Jahre befristeten Wärmliefervertrag für die Zeit vom 1.1.2017 bis 31.12.2022 ab. Dieser Vertrag legt die (Grund- und Arbeits-) Preise für die Gaslieferungen fest – und zwar einen „Basispreis“ für jeden Gebäudekomplex einzeln (also 25 verschiedene für Grone) sowie die Preisänderungsklauseln (Koppelung an einen Börsenkurs). Im Oktober 2021 meldet die LEG den Kauf von fast 90% der Westgrund-Immobilien (Share-Deal) und übernimmt die Wohnungsbestände zum 1.1.2022. Auf dieser Rechtsgrundlage berechnet die LEG die Nebenkosten und verschickt die Hiobsbotschaften pünktlich zum Weihnachtsfest 2023. Die Wärmekosten haben sich 2002 gegenüber 2021 mehr als verdoppelt (+114% laut LEG). In 18 Fällen liegen die Nachforderungen über 5.000 Euro.

Das Rechtsgutachten im Auftrag der LEG stellt fest: Die Nachforderungen sind rechtlich korrekt. Aus der Begründung:

1. Der Vertrag über die „börsennotierten Gaspreisschwankungen“ ist rechtens („wirksam“). Westgrund durfte solch einen „Wärmevertrag“ abschliessen und die Kosten auf die Mieter umlegen.
Ein wirtschaftlicher Schaden für die Mieter, der einen Schadensersatzanspruch begründet, sei nicht entstanden. Und wenn, dann hätten Mieter, die schon im Dezember 2017 dort wohnten – und nur die – , sich gegen die Änderungen (Lieferung durch enercity) wehren können und den Schaden nachweisen müssen. Haben sie aber nicht. Und hätten sie damals wahrscheinlich auch nicht können.

2. Alle neuen Mieter nach Ende 2017 haben diesem Gasliefervertrag – rechtlich gesehen – mit dem Mietvertrag zugestimmt. Sie haben sich – so die rechtsstaatliche Annahme – vor Vertrags-unterzeichnung auch den „Wärmevertrag“ samt Preisänderungsklausel genau angesehen. Wenn sie mit börsennotierten Gaspreis nicht einverstanden gewesen wären, hätten sie den Mietvertrag auch nicht unterschrieben. Ob sie angesichts der Wohnungsmarktsituation überhaupt eine Wahl gehabt hätten und zu einen anderen Vermieter hätten wechseln können, das ist rechtlich nicht von Bedeutung. Vertrag ist Vertrag und Verträge sind einzuhalten.

Ein Vertrag ist etwas sehr Grundlegendes in einer freiheitlichen Gesellschaft und Marktwirtschaft. Und das Vertragsrecht ein zentraler Baustein des Rechtsstaates. In einem Vertrag regeln zwei Parteien mit unterschiedlichen, gegensätzlichen Interessen die Bedingungen von Kauf/Verkauf. Formal sind die beiden Parteien gleichgestellt, gleich berechtigt. Sie sind auch (fast) völlig frei darin, welche Bedingungen sie vereinbaren. Der Rechtsstaat sorgt mit seiner Justiz dafür, dass Verträge – welchen Inhalt sie auch haben – eingehalten werden. Auf dieses grundlegende Rechtsprinzip der Vertragsfreiheit sind besonders CDU und FDP stolz (auch die AfD) und möchten es gern in möglichst allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen zum Prinzip machen (Liberalisierung).

Doch die gleich berechtigten Vertragsparteien sind nicht unbedingt auch gleich mächtig. Ihre Möglichkeiten sind sehr verschieden, was ihre Finanzen, ihr Wissen oder etwa ihre Erfahrungen im Umgang mit Institutionen betrifft. Mieter kennen sich in der unübersichtlichen Rechtslage nicht aus, Vermieter haben juristische Abteilungen. Mieter können nicht auf eine Wohnung verzichten; Vermieter müssen nicht zu jedem Preis vermieten, sie können die Wohnung auch längere Zeit leer stehen lassen.
Formal gleich, aber ökonomisch höchst ungleich – Mieter kennen dieses Machtverhältnis und die negativen Folgen für die Mieter zur genüge. Dass Grund- und Hauseigentümer immer wieder auf ihre Vertragsfreiheit pochen, sie einfordern und eine Ausweitung des Mieterschutzes ablehnen, zeigt: Der Rechtsschutz der Vertragsfreiheit ist für das Eigentum, für die Vermieter ein ganz zentraler, nützlicher Schutz.

Das LEG-Rechtsgutachten fordert, dass die Mieter ihren Vertragspflichten nachkommen, und führt aus, dass die Vertragspartei LEG sich an das Vertragsrecht gehalten hat. Auch in puncto Wirtschaftlichkeitsgebot.

3. Im Fall der Vermietung hat die Vermieter-Partei die Pflicht, den Mieter von „unnötigen Kosten“ „freizuhalten“. Für die Posten der Nebenkosten, die auf den Mieter umgelegt werden können, gilt das Gebot der Wirtschaftlichkeit.

Hätte die LEG die Gefahr von absehbar steigenden Börsenkursen für Gas von den Mietern abwenden müssen? Hätte die LEG den Liefervertrag rechtzeitig kündigen und den Lieferanten wechseln müssen? Wie zu erwarten argumentiert das Gutachten, ein Pflichtverletzung seitens der LEG liege nicht vor. Und überhaupt müsse laut Gesetz das Gebot der Wirtschaftlichkeit nur ‚beachtet‘ werden, könne nur innerhalb von 12 Monaten nach Zugang der Abrechnung ‚eingefordert‘ werden, usw.


Man ahnt den Spielraum für die Interpretation des Gesetzes Ob das Gutachten das Recht richtig oder doch einseitig/falsch auslegt, das entscheidet letztlich ein Gericht. Man ahnt auch den juristischen Aufwand, der nötig sein könnte, sich in aufwändigen und langwierigen Gerichtsprozessen gegen die LEG durchzusetzen. Und wie sollen Mieter, die auf eine preisgünstige Wohnung angewiesen sind, diesen Aufwand bezahlen? Die ökonomisch ungleiche Macht schlägt erneut zu.

Ob die Solidarität des Göttinger Stadtrates die Kosten für solchen möglichen Rechtsstreit übernimmt? Oder besteht sie darin, einigen Mietern – eventuell und nach Prüfung mit etwas Geld – zu helfen, den Vertrag zu erfüllen?

Der Rechtsstaat schützt neutral und formal „nur“ den Vertrag. Dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen nicht alle gleich treffen, dem einen mehr schaden, den anderen in seinen wirtschaftlichen Interessen schützen und nützen, ist bekannt, vielleicht bedauerlich, aber Recht.

Neue Wohnquartiere Europaquartier Update II (Februar 2024)

Stadtrat: Tempo, schnell – Schluss mit dem Hick-Hack

Zweite Zufahrt
(Quelle: Stadt Göttingen, Ausschuss für Bauen, Planung und Grundstücke, Sitzung vom 09.11.2023)

Im Mai 2016 beschliesst der Bauausschuss des Rates der Stadt Göttingen ein neues Wohngebiet. Es geht damals um 500 Wohneinheiten auf dem Holtenser Berg. Es erhält den Namen „Europaquartier“.

Fast acht Jahre später gibt es noch keine einzige neue Wohnung, kein (so weit bekannt) Wohnungsbauunternehmen, das dort bauen würde, noch nicht einmal einen Bebauungsplan. Der ursprünglich vorgebrachte Grund für das neue Wohnquartier – der grosse Mangel an bezahlbarem Wohnraum – hat sich keineswegs erledigt. Noch immer fehlenden tausende von bezahlbaren Wohnungen (laut GEWOS-Gutachten von 2023).
Doch nun soll es voran gehen. Die Bauverwaltung soll endlich mit der Ausarbeitung des Bebauungsplans beauftragt werden, damit demnächst (ab 2025 ?) mit dem Bau der Wohnungen begonnen werden kann.

„Mehr Tempo, statt umfangreiche Planung: Der Bauausschuss des Göttinger Rates will für das geplante Neubaugebiet Europaquartier mit 600 Wohnungen auf dem Holtenser Berg nun möglichst schnell Planungsrecht in Form eines Bebauungsplanes schaffen. Dafür folgten die Ausschussmitglieder in der jüngsten Sitzung einstimmig einem Änderungsantrag des Haushaltsbündnisses aus CDU, SPD und FDP.“ (GT vom 15.11.2023)

Mehr Tempo, statt umfangreiche Planung – notiert das Göttinger Tageblatt. Das klingt nicht nach guter Stadtpolitik, sondern eher nach Basta! und Hauruck.

Was ist passiert?

Die Stadtpolitik hat sieben Jahre lang keine Lösung für die Verkehrserschliessung des geplanten Europaquartiers gefunden, welche die Zustimmung engagierter Holtenser Bürger:innen fand. 2023 hat der Stadtrat eine Kehrtwende gemacht und dem Bau einer teuren, ökologisch nicht erfreulichen zweiten Zufahrt zugestimmt (siehe Bild). Mit diesem Zugeständnis, so hoffte er offenbar, sei der Widerstand gegen die Planung des Europaquartiers erledigt.
Doch im September 2023 gründen nun Bürger:innen aus Holtensen eine Initiative und protestieren gegen die beschlossene zweite Zufahrt. Die Bürgerinitiative „Im Achten für Holtensen“ (BIIAH) richtet im Internet eine ‚open petition‘ ein, die schnell 768 Unterstützer findet, darunter über 400 aus Holtensen (Stand: 3.12.2023). Die BI kritisiert den Lärm und die Feinstaubbelastung, den Verlust von Kleingärten und Grün, vor allem aber die Gefährdung der Kinder, ihrer und jener der Kita und des angrenzenden Wohngebietes mit 50 Kindern. Etliche Holtenser Eigenheimbesitzer:innen sind verärgert, weil sie vor wenigen Jahren ein Haus in einer – und das sei von der Politik „zugesagt“ worden – verkehrsberuhigten Zone, einer Sackgasse, gebaut haben.
Und auch auf dem Holtenser Berg sind BI und Forum Göttingen NordWest weiterhin unzufrieden, weil aus ihrer Sicht das Problem der Baustellenzufahrt nicht gelöst ist.

Die Ratspolitiker:innen sind offensichtlich genervt vom Widerstand. Partizipation hin und Bürgerbeteiligung her. Hinsichtlich des Europaquartiers sei es, so die Ratspolitiker:innen, jetzt genug. Auch wenn mit den Betroffenen im Göttinger Nordwesten noch gar nicht darüber gesprochen wurde, welche Wohnformen, welche Gemeinschaftseinrichtungen, welche Quartiersstruktur sie als eine bereichernde Nachbarschaft ansehen würden, welche (möglichen) Konzeptvorgaben und anderes sie vielleicht für wünschenswert oder notwendig halten – nicht einmal eine Planung und Entwicklung der Nahverkehrsmobilität wurde mit ihnen diskutiert – jetzt reicht es. Genug ist genug.

Schluss mit dem Klein-Klein und dem Hick-Hack.

Bündnis 90/Die Grünen schreiben in einer Anfrage an den Bauausschusses (26.10.2023):

„Wir sind der Meinung: Über das Klein-Klein sollte der Blick fürs Ganze nicht verloren gehen. Das Hickhack um die Wegeführung der Baustellenzufahrt darf nicht dazu führen, das Projekt zu gefährden. Vielmehr ist entschlossenes Handeln nötig, denn in Göttingen wird dieser Wohnraum dringend benötigt.“

Die GöLinke wird im Göttinger Tageblatt zitiert:

„Die erste Priorität für die Politik sei es, das Neubaugebiet voranzubringen und Wohnraum zu schaffen, sagte Jost Leßmann (GöLinke) im Bauausschuss. Die nun durch Holtensen geplante zweite Zufahrt auf den Holtenser Berg sei eine „Kröte“, die man habe dafür schlucken müssen.“ (GT vom 15.11.2023)

Seit 2016 haben Politik und Planung keine taugliche Lösung für das Projekt Europaquartier gefunden. Und auch keine stadtöffentliche oder kommunalpolitische Diskussion begonnen, wie mit der grössten Stadterweiterung seit Jahrzehnten umgegangen werden sollte. Man hat auch keine Aktivitäten bemerkt, das Europaquartier – verkehrstechnisch vielleicht schwierig, aber Grund und Boden im öffentlichen Eigentum – vielleicht zu einem Modellprojekt zu erklären und entsprechend Wissen, Beteiligung und Finanzmittel einzuwerben. Auch einen städtebaulichen Wettbewerb wie für das Planungsgebiet Lange Rekesweg oder Grotefend-Areal gab es hier nicht.

Über den Grund, warum jetzt „entschlossenes“ Handeln so dringlich notwendig ist, kann nur spekuliert werden. Drängen Klosterkammer und NLG, beides öffentliche Einrichtungen, darauf, dass sie ihre Auslagen für die Projektentwicklung ersetzt bekommen? Gibt es – trotz Baukrise – einen Investor im Hintergrund, der Druck macht? Die Ratsfrau Dr. Sakowsky (Grüne) mahnt am 9.11.2023: „Der Investor hat in einem Brief gebeten, dass zeitnah ein Aufstellungsbeschluss gefasst wird.“ Der „Investor“ ist kein Investor im Sinn eines Wohnungsunternehmens. Auf Nachfrage stellt sich heraus, es ist das Land Niedersachsen bzw. sein Unternehmen NLG, das drängelt. Der Grund dafür ist nicht klar.

Wohnungsmangel – was genau fehlt?

Der Mangel an Wohnungen in Göttingen ist jedenfalls ein von allen Politiker:innen vorgebrachtes zentrales Argument für einen jetzt raschen Wohnungsneubau auf dem Holtenser Berg. Mehr Wohnungen braucht es sicher, aber welche? Die Stadtpolitik zitiert dazu gern das GEWOS-Gutachten. Das jüngste Gutachten von 2023 rechnet für 2030 nicht mehr mit einem Fehlbestand von 4.900 Wohnungen, sondern nur noch von 2.600 Wohnungen. Die NBank, die die Landesregierung berät, kalkuliert in ihrem jüngsten Wohnungsmarktbericht (2023) für die Stadt Göttingen für 2030 sogar nur einen Fehlbestand von 549 Wohnungen – und für 2040 sogar Überhänge. Ein grosser Unterschied. Falsch gerechnet hat sicherlich keines der Modelle. Aber Prognosemodelle kann man sehr verschieden konstruieren.

Doch auch wenn man, wie es in der Göttinger Stadtpolitik Gewohnheit ist, mehr dem GEWOS-Gutachten folgt, dann sollte man auch zu Kenntnis nehmen: Es fehlt nicht an Wohnungen, sondern an bezahlbaren Wohnungen! Nämlich 2.100 der genannten 2.600 Wohnungen müssen laut GEWOS bezahlbare sein.

Dreiviertel der Neubauwohnungen müssten im bezahlbaren Segment liegen. Die städtische Wohnungspolitik orientiert sich aber an der 30%-Quote. Das bedeutet, es müssen zwei neue Wohnungen gebaut werden, um eine bezahlbare Wohnung zu schaffen.

Berücksichtig man, dass Ein- und Zweifamilienhäuser nicht unter die Quote fallen, würden im Europaquartier vielleicht nur 150 oder 170 bezahlbare (geförderte) Wohnungen entstehen.

Eine enorme Ressourcenverschwendung in Zeiten der Klimakrise! Und dabei wird nicht einmal das sehr genügsame Ziel des Handlungskonzeptes zur Schaffung und Sicherung bezahlbaren Wohnraums auch nur annähernd erreicht. Von den GEWOS-Zahlen ganz zu schweigen.

Basta!

Baustellenzufahrt ungeklärt, kein schlüssiges Mobilitätskonzept, kein Konzept zur Finanzierung von bezahlbarem (gefördertem) Wohnraum, kein Konzept für nachbarschaftsförderliche Gemeinschaftsinfrastrukturen – egal. Schluss mit weiterer umfangreicher Planung. „Das größte und wichtigste Baugebiet seit Jahren“ (Feuerstein, CDU) wird benötigt und „immense Verzögerungen (sind) nicht gewünscht .. einhergehende Belastungen zu akzeptieren“ (Becker, Grüne) (Protokoll des Bauausschusses vom 21.9.2023).

Stadtplanung mag kompliziert sein, weil es fast immer unterschiedliche Interessen, Konflikte und Widersprüche gibt, die anders, neu zu regeln sind. Dies ist im Fall Europaquartier vielleicht besonders schwierig, weil dieser Standort von Beginn an keine gut überlegte Planung war. Und – was noch entscheidender ist – weil Politik und Planung nicht mit den Betroffenen, den Bürger:innen und Nachbar:innen zusammen in konkreter (sicher auch mühseliger) Arbeit eine gemeinsame Lösung gesucht haben. Die formale Bürgerbeteiligung, die es gab1), weil gesetzlich vorgeschrieben, diente lediglich der Informations- und Akzeptanzbeschaffung für Interessen, die von Anbeginn feststanden. Und die sollen jetzt endlich – Proteste hin, Proteste her – durchgesetzt werden.

Anmerkungen:
1) siehe Neue Wohnquartiere Europaquartier Update November 2021

Wohnungslos

Die Zahl der Menschen, die wohnungslos sind, steigt seit 2-3 Jahren wieder . Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) waren in Deutschland Anfang 2023 über 600.000 Menschen betroffen.1 Auch die 2020 neu eingeführte amtliche Statistik über untergebrachte Wohnungslose registriert für Januar 2023 gegenüber Januar 2021 einen Anstieg um 39%.2 In Göttingen wird es einen vergleichbaren Anstieg von Wohnungslosigkeit geben. Wie reagiert die Stadtverwaltung? Zwei aktuelle Stellungnahmen geben darüber aufschlussreich Auskunft .

Die Stellungnahmen gehen auf Anfragen vom Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Stadt zurück („Das Menschenrecht auf Wohnen in der Stadt Göttingen stärken“ vom 25.4.2023 und vom 28.9.2023).3 In ihren Anfragen verlangen die Grünen Auskunft darüber, ob die Verwaltung Verbesserungsmöglichkeiten in der Betreuung und Versorgung von Menschen sieht, die wohnungslos sind oder denen die Wohnungslosigkeit droht:

  • Sollte der Zugang zu bestehenden Angeboten erleichtert werden (Beispiel: Stadt Kassel)?
  • Sollten die Betroffenen besser über die Angebote informiert werden?
  • Was unternimmt die Stadt, um den Menschen in prekären Lebenssituationen sozialen Wohnraum zur Verfügung zu stellen?
  • Könnte nicht nach dem Modell Hannover Wohnraum für Wohnungslose geschaffen werden?
  • Registriert die Stadtverwaltung die Zahl der Wohnungslosen überhaupt?

Der Tenor der Antwort: Die Göttinger Stadtverwaltung ist davon überzeugt, alles richtig zu machen. Es gibt von Seiten der Stadt also eigentlich nichts zu verändern oder gar zu verbessern. Die Stadt Göttingen will in mancher Hinsicht sogar mehr tun, als die Stadt Kassel. Kurz: Die Stadtverwaltung behauptet, dass sie sich anstrengt und alles tut, was notwendig ist. Mehr liegt nicht drin. Konstruktive Vorschläge braucht es nicht und Kritik ist völlig unangebracht.
Mit ihrer Stellungnahme gibt die Stadtverwaltung Auskunft darüber, wie der (lokale) Sozialstaat aktuell seine soziale Verantwortung bestimmt. Wie hilft er Menschen in Not? Wie unterstützt er Menschen in prekären Lebenslagen? Wie gestaltet er das Netz sozialer Sicherung und wer soll damit „aufgefangen“ werden?

Versprechen, Visionen – Schnee von gestern?

Kurz ein interessanter Blick zurück. Was hat die Göttinger SPD in ihren früheren Kommunalwahlprogrammen versprochen oder zumindest angesprochen?
Im Kommunalwahlprogramm der SPD von 2006 liest man auf Seite 10:

„Chancengleichheit, menschenwürdige Lebens- und Wohnbedingungen müssen allen und nicht nur wenigen zur Verfügung stehen. Die SPD übernimmt soziale Verantwortung und setzt sich heute wie morgen für ein leistungsfähiges Netz an sozialen Sicherungen und Hilfen ein, das die Arbeits- und Lebensverhältnisse in Göttingen umfassend verbessert und Menschen vor Not, Entwürdigung und Vereinsamung schützt. Jeder Mensch, der auf Unterstützung anderer angewiesen ist, muss auf die Unterstützung der Gemeinschaft vertrauen können.
Die Göttinger SPD verfolgt das Ziel der politischen Beteiligung und Gleichstellung aller gesellschaftlichen Gruppen. Hierzu gehört die politische und gesellschaftliche Teilhabe von Seniorinnen und Senioren, behinderten Menschen und Migrantinnen und Migranten in unserer Stadt.“4

Im Kommunalwahlprogramm der SPD von 2016 heisst es :

„Wir wollen unser Augenmerk noch stärker auf Menschen in besonderen Notsituationen richten. Dabei streben wir eine Vernetzung aller Träger an, weil immer mehr Menschen unter multiplen Problemlagen (Wohnungssuche, Schulden, Sucht, Gesundheit etc.) leiden. Insbesondere für sozial Schwache, chronisch Kranke, Suchtkranke und ältere Menschen wird in diesem Zusammenhang eine gute Gesundheitsvorsorge immer wichtiger. ..
Zwingend notwendig sind deshalb ortsnahe niedrigschwellige Kontakt- und Anlaufstellen, damit die Hürden zur Hilfesuche überwindbar sind …
Zugleich treten wir für bessere Absprachen und Kompetenzaufteilung unter den Akteuren ein. Es darf kein Nebeneinander geben sondern klare Verantwortlichkeiten.“ (SPD 2016, S.9)4

Chancengleichheit, Daseinsvorsorge, Schutz vor Not, Verbesserung der Lebenslagen, fürsorglicher Sozialstaat – all das soll man wohl mit dem „S“ in SPD verbinden. Sollte!

Doch das, so scheint es, ist Schnee von gestern. Im Kommunalwahlprogramm der SPD von 2021 finden sich solche Aussagen nicht mehr; unter dem Begriff der „solidarischen Stadt“ geht es um „gleichwertige Lebensqualität in den Quartieren“, um „gutes Miteinander der Generationen“, um Gleichstellung und (kulturelle) Vielfalt.6

Die Anfrage der Grünen wird also nicht als Unterstützung, als Erinnerung an Versprechen, als konstruktive Mahnung betrachtet, sondern als überflüssige, ja unnötige Kritik. Denn die Stadtverwaltung sieht ihr Handeln als angemessen an – als die aktuell richtige/notwendige/mögliche Praxis sozialstaatlichen Handelns.

Sozialstaat heute – Auskünfte der Stadt

Wie sieht diese ‚moderne‘ Praxis sozialstaatlichen Handelns aus? Einige Beispiele aus den Antworten der Stadt5:

Beispiel zentrale Servicestelle: Auf die Frage, ob nicht eine Bündelung der Beratungs- und Hilfsangebote in einer Wohnraumagentur wie z. B. in Kassel hilfreich wäre, antwortet die Stadt:
„.. im Fachbereich Soziale Sicherung als auch im Jobcenter [sind] alle Mitarbeiter*innen für die Beratung von Menschen in verschiedenen Notlagen geschult und vorbereitet“. Es würden die Leistungen aus „dem jeweiligen Hilfesystem“ erbracht – SGB-Leistungen vom Jobcenter, Wohnraumsicherung durch den Fachbereich, bei Problemen wie Überschuldung oder Drogen vermittele der Fachbereich an Beratungsstellen bei freien Wohlfahrtsträgern, Beratungsstellen der Mieterinitiative „Netzwerk gesundes Wohnen“ oder den Mieterverein. Kurz: Auch ohne die Einrichtung einer zentralen Fachstelle gelinge es der Stadt Göttingen, den wohnungslosen Menschen oder von Wohnungsverlust bedrohten Menschen „rechtskreisübergreifend direkt und ohne Verweisketten zu helfen.“ (Antwort1) Rechtskreisübergreifend und ohne Verweisketten!
Die Stadtverwaltung geht sogar noch einen Schritt weiter: „Aus Sicht der Verwaltung ist die Bündelung in einer Servicestelle der verschiedenen Unterstützungsleistungen der verschiedenen Rechtskreise keine Stärkung der Zugänglichkeit für besonders gefährdete Personen, .. [da es der Verwaltung gelingt].., .. ohne diese Servicestelle .. rechtskreisübergreifend direkt und ohne Verweisketten zu helfen.“ (Antwort2)
Das „Gelingen“ ist nur die Sichtweise der Stadtverwaltung, es ist nicht die Perspektive derjenigen, die Hilfe benötigen. Und dieses „Gelingen“ besagt auch nicht mehr, als dass die Verwaltung Gesetze und Verordnungen korrekt anwendet.

Beispiel Wohnungsversorgung: Zum Punkt einer sozialen Wohnraumhilfe (Beispiel Hannover) antwortet die Göttinger Stadtverwaltung kühl und ebenso formal, dass sie über Instrumente verfügt bzw. solche geschaffen hat – Kauf von Belegungsrechten, Ausstellung von Wohnberechtigungsscheinen, Bündnis für bezahlbares Wohnen, das Handlungskonzept für die Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnen 2018, „die gute Zusammenarbeit mit Wohnungsbauunternehmen“ (Antwort1).
Dass die Wirkung dieser Instrumente – wie hinlänglich bekannt und nachgewiesen7 – völlig ungenügend ist, erwähnt die Stadtverwaltung nicht. Über ihre Wirksamkeit äussert sich die Verwaltung überhaupt nicht. Aus ihrer Sicht handelt sie korrekt und hat sich bemüht (siehe Bündnis, Handlungskonzept).

Beispiel Umfang der Obdachlosigkeit/ Datenlage: Die Zahl der von Wohnungslosigkeit betroffenen oder bedrohten Menschen ist nicht bekannt. Was unternimmt die Stadt dagegen? „ … eine belastbare Statistik kann nicht erstellt werden. Der Begriff Obdachlosigkeit ist nicht klar definiert und in der Anfrage zum Teil mit Wohnungslosigkeit gleichgesetzt …“ (Antwort2) Ob mit „nicht klar definiert“ die Anfrage der Grünen gemeint ist, wird nicht recht deutlich. Das Statistische Bundesamt zitiert sehr wohl eine „klare“ Definition (Wirtschaft und Statistik 1, 2023, S. 18).2 Zum einen erstaunt der zurechtweisende Ton, in dem die Göttinger Stadtverwaltung hier auf die berechtigte Frage der Grünen reagiert. Zum anderen wirft dieser Sachverhalt neue Fragen auf:
Wie kann die Stadtverwaltung davon überzeugt sein, dass sie „genug tut“ und die Lage im Griff hat, wenn sie gar nicht genau angeben kann, wie viele Menschen in Göttingen von der Wohnungslosigkeit betroffen sind?

Beispiel „Runder Tisch“ für Lösungen: Die Göttinger Fachtagung „Frauen.Wohnungslos.Unsichtbar.“ (vom 12. Oktober 2022) hatten in einem „eindringlichen Appell“ u. a. gefordert, einen Runden Tisch einzurichten, um mit Akteuren gemeinsam Lösungen zu erarbeiten (Offener Brief).8 Genau das stand 2016 auch noch so im Kommunalwahlprogramm der SPD.
Die Göttinger SPD und die Verwaltung sehen das heute etwas anders. Sie scheinen inzwischen ganz auf CDU-Kurs zu sein. Der Bündnisvereinbarung CDU/SPD/FDP („Göttingens Zukunft gemeinsam gestalten“, März 2022)9 fällt zu sozialer Gerechtigkeit als erstes ein, „Göttingen als Innovations- und Wirtschaftsstandort [zu] fördern und aus[zu]bauen“ (S.3). Ein „soziales Göttingen“ braucht aus Sicht der so genannten Deutschlandkoalition vor allem ein „aktives soziales Netzwerk“ von Vereinen und kulturellen Einrichtungen, deren (!) „hochwertige Arbeit“ und – auch – ausreichend bezahlbaren Wohnraum (S. 13f.). Es ist gut, dass diese zivilgesellschaftlichen Einrichtungen gibt. Aber hier wird das private soziale Engagement benutzt als Rechtfertigung für das Zurückfahren sozialstaatliches Handelns.

Die aktuelle Politik der Daseinsvorsorge fragt, welche sozialen Sicherungsnetze denn wirklich nötig, welche öffentlichen Einrichtungen und Hilfen wirklich unverzichtbar – und nicht zu teuer sind.
Die Notlagen und das Interesse der Wohnungslosen an einer Wohnung werden von der Politik nicht geleugnet. Sie stimmt sogar zu, dass diese Not ein existenzielles (!) Grundbedürfnis betrifft.

„Wohnungslosigkeit ist eine besonders prekäre Form
von Armut und sozialer Ausgrenzung, denn Wohnen
gehört zweifellos zu den existenziellen Grundbedürfnissen.“
(Niedersächsische Landesregierung 2019)10

Wer ist für die Not der Menschen verantwortlich? Aus Sicht der Regierenden hat die Armut nichts mit den gesellschaftlichen Strukturen zu tun. Sie wird auf individuelles Versagen, Schicksal, das Zusammentreffen unglücklicher Umstände zurückgeführt.
Dies verlangt – so die herrschende Politk – Mitleid und Respekt und die Verwaltung, nicht aber die Abschaffung oder deutliche Linderung der Armut.
Was in der Verwaltung der Armut möglich ist und als ausreichend betrachtet wird, das bestimmt nicht die Not-, sondern allein die Wirtschaftslage.

Diese Aufgabe, die Verwaltung der Armut
nach den Regeln, die die regierenden Parteien erlassen und verordnet haben,
diese Aufgabe erledigt die Göttinger Verwaltung ihrer Selbstbeurteilung nach sehr gut. Effizient, rechtssicher, zielgenau, umfassend, korrekt.


Vonovia, LEG & Co – Immobilienspekulanten

Stadtentwicklung – Durch wen? Für wen?

Die Geschäfte für Vonovia, LEG & Co laufen derzeit nicht gut. Sie müssen ihre Investitionen herunterfahren, Neubau und Modernisierungen streichen. Sie müssen Ausgaben senken – bei Instandhaltung sparen und den Service einschränken. Sie müssen vielleicht sogar schrumpfen, also Wohnungen verkaufen – wenn sich denn Käufer finden würden. Und warum? Sie haben sich verspekuliert. Die steigenden Kreditzinsen beenden nicht nur ihr spekulatives Geschäft des letzten Jahrzehnts. Sie bringen die Konzerne auch in Schwierigkeiten, das bestehende Immobiliengeschäft weiterhin so aufrecht zu erhalten.

Denn es ist auf Schulden gebaut. Und die Refinanzierung dieses riesigen Schuldenbergs ist dramatisch teurer geworden. Die Konzerne, die ihr Wachstum auf Niedrigzinsen aufgebaut haben, haben sich verspekuliert. Das wäre nicht weiter interessant, wenn nur die Aktionäre jetzt weniger Dividenden erhalten. Doch die Mieter müssen die Fehlspekulation ausbaden. Ihre Mieten müssen jetzt noch mehr als zuvor steigen, weil die Konzerne Geld („Liquidität“) benötigen für die Bedienung der gestiegenen Zinsen.

Wie die Vorgehensweise der Konzerne genau aussieht, wie sich ihre Geschäftszahlen in den letzten Jahren verändert haben, mit welchen Geschäftsmodellen sie darauf antworten und vor allem – was das für Mieter bedeutet, das wird am 20. Oktober 2023 Gegenstand einer Veranstaltung vom „Bündnis Gutes Wohnen für Alle“ , dem Rosa-Luxemburg-Club Göttingen, dem Göttinger Mieterverein und weiteren Gruppen sein. Referent Knut Unger von den Kritischen MieterAKTIONär*innen ist einer der besten Kenner der Gechäftspraktiken dieser Konzerne.

20. Oktober 2023
Was tun gegen die Immobilienkonzerne VONOVIA, LEG & Co?
Holbornsches Haus, Rote Straße 34

Am selben Tag findet bereits um 17 Uhr eine weitere Veranstaltung zum Thema statt:

Hohe Nebenkostenabrechnungen von LEG und VONOVIA: Wie wehren wir uns sinnvoll?
Nachbarschaftszentrum Grone, Deisterstraße 10.

Immobilienspekulation und daraus folgende Immobilienkrisen sind nichts Ungewöhnliches oder Seltenes. Die Immobilienkrise in China ist gerade Thema der Nachrichten. Die Krise in den USA 2008 ist noch deutlich in Erinnerung. Davor gab es in den letzten Jahrzehnten Immobilienkrisen in Spanien, in Südengland, in Kanada, usw. Und es gab sie auch schon Ende des 19. Jahrhunderts – in Deutschland, in Südamerika und anderswo. Eine kleine gab es auch in Göttingen Anfang des 20. Jahrhunderts. Und aktuell (2021) war auch der Verkauf der Adler-Wohnungen an die LEG Folge einer Fehlspekulation (siehe den Blog-Beitrag „Die Geschichte der Adler in Grone geht zu Ende“ ).

Der Hinweis auf die Geschichte zeigt, dass Immobilienspekulationen ein „normaler“ Bestandteil eines Wohnungsmarktes sind, bei dem das Wohnbedürfnis Mittel für private Bereicherung ist (siehe den Blog-Beitrag „Bauen, Bauen, Bauen“ ). Niedrige Zinsen und Wohnungsnot sind ein hervorragender Nährboden für Spekulation. Die Politik der Bundesregierung und die der Stadt Göttingen haben diesen Boden im letzten Jahrzehnt „gedüngt“, indem sie die Wohnungsnot nicht durch eigenen Wohnungsbau oder zumindest durch wirksame Mieterschutzgesetze bekämpft haben.

Was kommt auf die Mieter der Konzerne zu? Was ist dagegen zu tun? Dies wird das Thema auf der Veranstaltung am 20. Oktober sein.

Bauen, Bauen,Bauen …

schafft mehr bezahlbaren Wohnraum ? Ein Einspruch

Umfangreicher Neubau von Wohnungen soll dazu führen, dass es auch mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. Gegen diese These und ihrer wirtschaftswissenschaftlicher Grundlage, dem Filtering-Modell, wird im Folgenden Einspruch erhoben.

Wie jeder weiss, sind Bau und Vermietung von Wohnungen ein Geschäft, dass nur stattfindet, wenn es sich für den Bauherrn/Vermieter lohnt. Viele Haushalte sind nicht in der Lage, die finanziellen Ansprüche der Vermieter, den „Mietenwahnsinn“, zu bedienen. Gefordert werden daher mehr bezahlbare Wohnungen. Diese Forderung wird an die Politik gerichtet, weil der ‚Markt’ es ganz offensichtlich nicht leistet. Doch die Politik hält sich mit dem Bau von Sozialwohnungen sehr zurück. Sie zwingt die Immobilienunternehmen, in gewissen Fällen, zeitlich und mengenmäßig begrenzt (30%-Quote) preisgünstige Wohnungen in ihre Geschäftskalkulationen einzubauen. Als ‚Entschädigung‘ erhalten die Unternehmen finanzielle Hilfen wie Zuschüsse und günstige Kredite.

Solche Eingriffe in die Freiheit der Marktteilnehmer sieht die Politik sehr kritisch. Sie bleiben daher auch im finanziellen Förderumfang wie in der Quote beschränkt und werden in regelmäßigen Abständen auf ihre Notwendigkeit überprüft. Denn eigentlich versorgt der Markt alle Teilnehmer mit Wohnraum, auch jene mit geringem Einkommen. Sollte das – wie zum Beispiel jetzt – nicht der Fall sein, dann – so die Behauptung – liegt das an der Knappheit, daran, das Wohnungen fehlen. „Bauen, bauen, bauen“ ist daher das richtige Mittel, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen.

Das erzählen marktliberale Politiker, Ökonomen wie auch die „Experten“ von der GEWOS immer wieder. Zufrieden meldet auch die Göttinger Stadtpolitik den Neubau von vielen („tausenden“) Wohnungen und Eigenheimen. Denn diese teuren bis sehr teuren Wohnungen würden – letztendlich – ausreichend bezahlbaren Wohnraum schaffen. Das „wissen“ die Politiker. Sie berufen sich dabei auf die Wissenschaft, auf ein Modell der neoklassischen Ökonomen –

das Umzugsketten- oder Filtering-Modell.

Das Modell besagt, dass jeder Wohnungsneubau zwei Ketten auslöst: Der qualitativ hochwertige Neubau „filtert“ bestehende Wohnungen herunter. Der altersbedingte Verschleiss und die nun niedrigere Qualitätsklasse vermindert den Wert der Bestandswohnungen und vermehrt somit das Angebot an preisgünstigeren Wohnungen. Und zugleich löst der Neubau Umzugsketten nach „oben“ aus. Die einkommensstärkeren Haushalte ziehen in die besseren, neuen Wohnungen und machen damit geringerwertige, billigere Wohnungen frei, in die nun Haushalte mit geringerem Einkommen einziehen können. Irgendwann nach etlichen Umzügen erweitert sich auch das Angebot an Wohnungen für die Haushalte mit den niedrigen Einkommen, auch sie können sich etwas bessere (in Grösse, Lage, Ausstattung) Wohnungen leisten. Kurz gesagt: Der Wohnungsneubau für die Reichen nützt somit auch den Armen. Es geht ganz ohne staatliche Eingriffe, ohne „sozialen Wohnungsbau“. Der Markt versorgt alle, ganz automatisch. Er befriedigt jedes Bedürfnis – wenn es über Geld verfügt. Selbst für Haushalte mit den niedrigsten Einkommen hat er passende Mietwohnungen bereit – Wohnungen niedrigster Qualitätsklasse und nicht unbedingt in guter Lage, aber passend zu den Wünschen (Ökonomen sprechen von Präferenzen), die diese Haushalte angesichts ihres Einkommens (Ökonomen nennen das Budgetrestriktion) äussern (können).

Natürlich ist das Filtering-Modell ein Modell, ein sehr schlichtes Modell. Es konstruiert einen Wohnungsmarkt, den es so real gar nicht gibt. Denn in der phantastischen Welt des Modells herrscht völlige Markttransparenz und Rationalität, alle reagieren sofort auf Preissignale, um ihren Nutzen zu optimieren, der Wohnungsmarkt ist auf diese Weise stets im (Fließ-)Gleichgewicht. Das Modell konstruiert den Wohnungsmarkt als ein mechanisches Hebelwerk, in dem der Preis die Aufgabe hat, Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht zu bringen.

Die Kritik, dass dieses Filtering-Modell an der Wirklichkeit städtischer Wohnungsmärkte völlig vorbei geht, ist zutreffend und sie gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Die Ökonomen, die dieses Modell propagieren, denken aber auch gar nicht, dass es irgendwie die Wirklichkeit eines Wohnungsmarktes widerspiegelt. Ihre Modellkonstruktion soll zeigen, wie der Wohnungsmarkt organisiert sein sollte. Sie machen sich daher auch nicht die Mühe, zu überprüfen, ob das Modell den real existierenden Wohnungsmarkt in zutreffender Weise abbildet.

Wohnungspolitikern sind diese „Feinheiten“ wissenschaftlichen Modellbaus nicht sonderlich wichtig. Sie sehen in dem Filtering-Modell vor allem eine willkommene, „objektive“ Rechtfertigung ihrer Wohnungspolitik des „Bauen, bauen, bauen“.

Der Wohnungsmarkt der letzen Jahre hat an der Glaubwürdigkeit dieses Rechtfertigungsmodell offenbar etwas genagt. Unternehmen der Wohnungsmarktforschung haben sich daher bemüht, mit empirischen Daten nachzuweisen, dass der Wohnungsmarkt tatsächlich wie im Modell behauptet funktioniert – zumindest im Prinzip.

Empirica hat im Auftrag des Bauherren Schutzbundes e.V. dazu eine Meta-Studie durchgeführt. Grundlage sind 5 Studien – mehr gibt es offenbar nicht – , die nicht nur aus ganz verschiedenen Zeit stammen – aus 1978 (!) bis 2020 -, die sich auch methodisch „zum Teil jedoch ganz erheblich“ unterscheiden (empirica 2020, 8). Dennoch werden sie herangezogen für die zentrale Frage, ob sich die behaupteten „(sozialen) Sickereffekte“ – d.h. durch Neubau mehr preiswerte Wohnungen für die niedrigsten Einkommensgruppen – nachweisen lassen. Dieser positive Nachweis bereitet der Meta-Studie grosse Mühe. Denn die schöne Welt des Modells wird immer wieder durch die Realität „gestört“.

a) … durch Zuzügler: Zuzügler, die in frei werdende Wohnungen ziehen und die Mieten nach oben treiben, verhindern das „Nachsickern Einheimischer“: „der soziale Aspekt …“ – das Haushalt mit geringerem Einkommen nachrücken können – „… leidet wegen des Mietanstiegs“ (ebd., 38).

b) … durch Mietsteigerungen im Bestand: Bei Neuvermietung im Bestand kommt es in der Regel zu deutlichen Mietsteigerungen, so dass Haushalte mit niedrigem Einkommen nicht nachziehen können oder nur bei erheblich grösserer Mietbelastung und/oder (zu) kleinen Wohnungen (ebd., 31f.).

c) … durch Modernisierungsmassnahmen: Die Mieterhöhung im Bestand ist vielfach die Folge eines „Herauffilterns“, d.h. einer Wohnwertverbesserung durch Modernisierung, und daher gelangt die Wohnung gar nicht in das Segment für geringe Einkommen.

Das Ergebnis der empirischen Überprüfung ist also, dass sich in der Wirklichkeit städtischer Wohnungsmärkte der Nutzen eines Wohnungsmarktes für mehr preiswerte Wohnungen nicht eindeutig und klar belegen lässt.

Das spricht allerdings für die Ökonomen und Marktforscher nicht gegen das Modell, sondern für fehlende Daten. Denn es ist „eben auch eine Frage, ab welcher Sickerstufe „Arme“ dann doch indirekt profitieren. Dazu müssen aber ausreichend lange Ketten untersucht werden, was empirisch sehr mühsam und aufwendig sein kann.“ (ebd., 24) Auch wenn diese empirischen Untersuchungen fehlen, bleibt es bei der Behauptung, dass der Sickereffekt doch zumindest ein wenig vorhanden ist : „Der soziale Sickereffekt kommt bei Knappheit ebenfalls nicht zum Erliegen: inserierte Bestandsmieten sind in der Masse günstiger als Neubaumieten. Gleichwohl könnte dieser zweite Effekt sicherlich viel größer ausfallen.“ (ebd. 38) Man müsste nur mehr – Eigenheime und Eigentumswohnungen – bauen, bauen, bauen. Auch wenn momentan die Wirkung eines freifinanzierten Wohnungsbau „im höherpreisigen Segment … nur in reduziertem Umfang bis in die unteren Preissegmente“ wirkt (BBSR 2020, 6).

Niemand wird erwarten, dass bei diesem vagen Ergebnis konkrete quantitative Aussagen getroffen werden: wann wie viele günstige Wohnungen zu welchem Preis durch x neue Wohnungen geschaffen werden.

Aber nützlich ist das Modell dennoch.

– z.B. in der Ablehnung eines Wohnungsbau jenseits des Marktes. Man könnte ja auch neue Sozialwohnungen bauen. Dann bräuchte es keine lange Umzugsketten und herunter gewirtschaftete, also „heruntergefilterte“ Wohnungen. Doch das – so die empirica-Studie – würde dem Staat zu viel Geld kosten. Unbezahlbar. Und wenn man nur (!) noch Sozialwohnungen bauen würde, wäre auch Gentrifizierung die Folge. Denn die preiswerten Bestandswohnungen würden dann saniert und teuer weitervermietet und Geringverdiener ohne Zugang zu einer Sozialwohnung würden auf diese Weise ins Umland verdrängt (ebd., 40). Also wenn „die Wohnungspolitik mit einem möglichst geringen (!) fiskalischen Aufwand eine bestimmte Versorgungswirkung erreichen (will), empfiehlt sich demzufolge der Wohnungsneubau in den oberen Segmenten, was in etwa gleich bedeutend ist mit dem freifinanzierten Wohnungsbau.“ Auch wenn auf diese Weise „viel mehr Wohnungen errichtet werden müssten, so dass eine derartige Strategie in der Praxis z. B. mit der Baulandknappheit oder Kapazitätsengpässen in Planungsverwaltungen und Bauwirtschaft kollidiert“( BBSR 2020, 7)

– oder z.B. in der Rechtfertigung von Mieterhöhungen. Sie sind hilfreich, ja unabdingbar. Denn sie beschreiben Zustände des Ungleichgewichts und die können definitionsgemäss nur vorübergehend sein. Gemäß dem Modell sollten Mieter dankbar sein, wenn die Vermieter die Knappheit durch höhere Mieten, sprich Gewinne, für sich nutzen, weil durch diese Preissignale Neubau angeregt wird und so zügig aus dem Un- wieder ein Gleichgewicht wird.

Es wird deutlich, das dieses Modell nicht der Planung einer guten Wohnungsversorgung für alle dienen will, sondern den Nutzen des freien Wohnungsmarkts rechtfertigt und lobt. In diesem Markt gilt, dass der Nutzen des Anbieters / des Eigentümers (der Wohnung), dass sein Gewinn, selbstverständliche und unerlässliche Bedingung für die Vermietung ist. Diese Bedingung, seine Mietforderung, kalkuliert der Eigentümer nicht nur, indem er lokale Umstände ausnutzt und eine Wohnungsknappheit begrüsst, sondern auch im Vergleich zu anderen Regionen und Geldanlagesphären. D.h. wenn anderswo und auf andere Weise mehr Geld zu verdienen ist, gibt es keine Wohnungs“versorgung“. Und wenn Menschen die Bedingung des Eigentümers nicht erfüllen, die Miete nicht bezahlen können, sind sie nicht mehr Teilnehmer am Wohnungsmarkt und werden wohnungslos. Dieser freie Wohnungsmarkt ist keine karitative Einrichtung. Sondern Mittel der Vergrösserung von privatem Vermögen.

Fazit: Die gegenwärtige Wohnungspolitik des „Bauen, bauen , bauen“ – und zwar Eigentumswohnungen, besser noch Eigenheime und vorübergehend vielleicht auch einige Sozialwohnungen (empirica: „zur Schließung der Knappheitslücke“) – ist gold-richtig. Und kann sich auf wissenschaftliche „Erkenntnisse“ berufen (zumindest auf die der vorherrschenden neoklassische Lehre). Diese wissenschaftlichen „Erkenntnisse“ beglaubigen, dass die „Bauen, bauen“- Wohnungspolitik auch sozial ist, weil sie irgendwann und tendenziell vielleicht auch Wohnraum für Geringverdiener schaffen wird. Dazu müsse vorher die Wohnungsversorgung der höheren Einkommensklassen allerdings ausreichend gesichert sein und der Nutzen (Gewinn) den Vermietern ausreichend erscheinen.

Die Wohnungsversorgung der Menschen mit geringem Einkommen ist und bleibt auf diese Weise immer ein Rest, ein Abfallprodukt. Das ist in dieser Denkweise und dieser Gesellschaftsordnung, in der es nur auf Geld ankommt und soziale Ungleichheit ein nützliches Mittel ist, auch sozial und gerecht. Dass diese Wohnungspolitik auch mit Ressourcen – Land, Baumaterialien – weiterhin verschwenderisch und ausbeuterisch umgeht – welcher Klimawandel ? -, auch dazu sieht die Politik keine Alternative. Sie feiert, dass sich tausend Kräne drehen und der Staatshaushalt möglichst wenig belastet wird.

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Literatur:
Empirica 2020: Metastudie „Sickereffekte“ – Endbericht – Übersicht, Kritik und Gegenkritik sowie Schlussfolgerungen auf Basis einer Meta-Analyse von fünf empirischen Sickerstudien. Berlin.

BBSR 2020: Umzugsmobilität und ihre Wirkung auf lokale Wohnungsmärkte. BBSR-Online-Publikation Nr. 11/2020.

Heeg, Susanne 2023: Stadt bewohnen – Wohnungspolitik und soziale Frage. In: Strüver, A. (Hrsg): Stadtgeographie, p. 115-147.

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Grotefendareal / Weender Tor West II

Stadtentwicklung – Durch wen? Für wen?

Vor einigen Tagen ist im GT ein kritischer Leserbrief zum Umgang der Stadt mit dem Grotefendareal erschienen, die hier ebenfalls veröffentlich wird.
Es ist hier schon mehrfach über das Grotefendareal berichtet worden – über die Planung und die Kritik daran und über den Investor. Der aktuelle Leserbrief kritisiert u.a. den Umgang der Stadtpolitik mit der Bürgerbeteiligung im Planungsprozess. Die Initiative für ein Soziales Zentrum, die Bürgerinitiative Holtenser Berg und der Sanierungsbeirat „Nördliche Innenstadt“ könnten wahrscheinlich über ähnlich enttäuschende Erfahrungen berichten, wie die Stadtregierung mit bürgerschaftliches Engagement umgeht. Formal, also rechtsstaatlich, handelt die Stadtpolitik wohl korrekt. Und auch demokratisch, denn die Wähler haben der Politik den Auftrag gegeben, dass sie, die Politik, allein bestimmt, was dem allgemeinen Wohl nützt. Das hat vor kurzem der CDU-Fraktionsvorsitzende im Bauauschuss noch einmal ganz deutlich (gegen die Initiave für ein Soziales Zentrum) zum Ausdruck gebracht. Welche Interessen dem allgemeinen Wohl dienen und welches bürgerschaftliche Engagement stört entscheiden ganz frei und demokratisch die herrschenden Parteien.

Am Samstag, 15.07.2023, hat das „Göttinger Tageblatt“ folgenden Leserbrief veröffentlicht:

Der Überschrift des Artikels vom 24.6., „Die Bürger haben nichts zu sagen“, ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Eine Bürgerbeteiligung zur Neubauplanung am Weender Tor hat ja längst stattgefunden, und zwar eigeninitiativ, vorausschauend und unzweideutig: im Herbst 2021 votierten 2173 Menschen in einer Petition für eine Beibehaltung des gültigen (und noch jungen) Bebauungsplans und damit gegen das geplante Monstrum! Dennoch wurde die Planung des Bauvorhabens, das weit über den gültigen Bebauungsplan hinausgeht, seitens der Stadtverwaltung und des Haushaltsbündnisses im Rat vorangetrieben, den Stimmen aus Bürgerschaft und politischer Opposition zum Trotz.
Nun ruft Baudezernent Look gebetsmühlenhaft dazu auf, „Vertrauen zu haben“. Wie kann man Vertrauen in die Verwaltung und in die Politik des Haushaltsbündnisses haben, wenn es von vornherein verspielt wird: wenn von Sparkasse und Hanseatic mit Absegnung von Verwaltung und Haushaltsbündnis einfach ein riesiges Bauvorhaben am Weender Tor geplant wird, vollkommen egal, was der gültige Bebauungsplan ausweist; wenn im Verwaltungsausschuss hinter verschlossenen Türen weitreichende Entscheidungen getroffen werden; wenn mit politischen Taschenspielertricks entgegen früherer Absprachen die Mehrheiten im Bauausschuss gekippt werden; und wenn das Mammut-Vorhaben völlig vorbei an den Eckwerten des bestehenden Bebauungsplans einfach weiter geplant wird, als hätte sich bislang niemand öffentlich zu Wort gemeldet.
Die geplante Bürgerbeteiligung und sogenannte Transparenz sind nichts weiter als hingeworfene Brosamen, um die aufgebrachte Öffentlichkeit einzulullen. 2 – 3 Bürger sollen den Verlauf „als Gäste begleiten“, lachhaft. Sie und die restlichen Bürger dürfen im Verlauf dann alles anschauen und „Wünsche äußern“, aber wir wissen schon vom Weihnachtsmann, dass das unter Umständen – und hier erst recht – fromme Wünsche bleiben.
Es gibt einen noch jungen Bebauungsplan für das Grotefend-Areal, der mit überzeugenden Argumenten entwickelt wurde und der – entgegen der Planung von Hanseatic, Verwaltung und Haushaltsbündnis – auch dem Innenstadtleitbild von 2020 voll entspricht. Der Neubau sollte genau nach diesem Bebauungsplan entwickelt werden!

Wolfgang Dahms, Göttingen
Renate Willenbrock-Heier

Neue Wohnquartiere ‚Leineviertel‘

Neues Wohnquartier ist für das Gebiet in der Südstadt zwischen Leine – Leinekanal – Freibad – Bürgerstrasse nicht so ganz zutreffend. Denn der Quartiersumbau und die Erweiterungen durch neue Wohngebäude dort hat schon vor gut 10 Jahren stattgefunden. Also noch vor der Zeit, in der die Proteste gegen die spekulierenden Immobilienkonzerne und die Mietenexplosion die Politik zu einer anderen Wohnungspolitik nötigten.

Seit 2006 sind im ‚Leineviertel‘ -hier definiert als das Gebiet der Statistischen Bezirke 035 Gartetalbahnhof – 034 Jahnstadion – 033 Bunsenstrasse – rund 2.500 Einwohner dazu gekommen. Die Wohnfläche ist um 43% gewachsen. Die soziale Stuktur hat sich deutlich verändert.
Der grosse Umbau des „Leineviertels“ beginnt vor gut einem Dutzend Jahren. 2009 werden Bebauungspläne rechtskräftig für das Schneeweiss-Gelände, für die ausgelagerte Rechtsmedizin am Windausweg, 2011 für das ehemalige Brauereigelände und seit 2005 für die ehemaligen Physikalischen Institute an der Bunsenstrasse.

Die Entwicklung dieser drei Bezirke beschreibt der folgende Beitrag:

Gutachten bestätigt Analyse

Politik für bezahlbaren Wohnraum scheitert

Im März 2023 wurde in einer Veranstaltung vom Bündnis “Gutes Wohnen für Alle” und der Universität Trier (https://wordpress.com/post/stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2459) dargelegt, dass die Göttinger Politik, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, weitgehend erfolglos ist und im Prinzip scheitern muss. Nun gibt es ein neues Gutachten von GEWOS, welches diese Analyse vom März bestätigt.

Dieses aktuelle Gutachten – “Aktualisierung der Analyse der sozialen Wohnraumversorgung und Wohnraumbedarfsprognose für die Stadt Göttingen” (GEWOS 2023) – präsentiert wie auch schon GEWOS 2016 und GEWOS 2017 Ergebnisse von Modellrechnungen. Die Annahmen und die “Tücken” dieses Modells sind früher schon detailliert kritisch analysiert worden. Doch die Ergebnisse dieser Modellrechnung nimmt die Stadt Göttingen als Grundlage ihrer Wohnungspolitik, besonders wenn es um die Rechtfertigung von Wohnungsneubau geht.

GEWOS (2023) widmet der sozialen Wohnraumversorgung ein eigenes Kapitel. Darin stellt sie fest:

Das Angebot an bezahlbaren Wohnungen ist seit 2017 kleiner geworden – absolut wie relativ.

Bei den Mietwohnungen in den Grenzen für niedrige Einkommen um rd. 33%, bei Mietwohnungen in den Grenzen für mittlere Einkommen um 43% (Grenzen nach dem niedersächsischen Wohnraumfördergesetz NWoFG). „Damit sind – trotz Erhöhung der Mietobergrenzen – deutlich weniger Wohnungen dem preisgünstigen Segment zuzuordnen als noch im Jahr 2017…” (S.37)
“Insgesamt kommen damit jährlich knapp über 1.500 bezahlbare Wohnungen auf den Markt, 1.000 weniger als noch im Jahr 2017.” (S. 38)

Das Defizit an bezahlbaren Wohnungen ist aktuell –fast- genauso so hoch wie 2017.


“Aktuelles Defizit: 1.700 Wohnungen – 1.000 Wohnungen laut niedriger Einkommensgrenze, 700 Wohnungen laut mittlerer Einkommensgrenze” (S.40) Und wenn Fehlbelegungen berücksichtigt werden, dann “liegt das aktuelle Defizit an bezahlbaren Wohnungen damit bei rund 2.000” (S.40). Fast genauso hoch wie 2017: Damals hatte GEWOS ein Defizit von 1.900 Wohnungen errechnet bzw. 2.400 Wohnungen, wenn Fehlbelegungen berücksichtigt werden. Grund für den etwas geringeren Wert aktuell ist ein “rechnerisch” geringerer Bedarf, also eine Folge der Modellkonstruktion, die aufgrund “ im Durchschnitt gestiegener Einkommen” und einer “geringere(n) Fluktuationsquote” eine geringere Nachfrage modelliert. (S.35)

Die Situation für Menschen mit gerigem Einkommen hat sich verschlechtert.

“In der Konsequenz verschlechtert sich die Situation für die Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Gleichzeitig steigen auf dem freifinanzierten Markt die Preise und verringern das bezahlbare Angebot für die Nachfragenden.” (S.42) – Die wichtigste Lösung nach GEWOS ist natürlich “Bauen, bauen, bauen”. (dazu demnächst ein Beitrag hier im Blog)

Die Stadt hat ihre selbst gesetzten Ziele bisher weit verfehlt

Die Stadt hat – so GEWOS – zwischen 2016 und 2021 Planungsvoraussetzungen für die Realisierung von 660 preisgebundenen Wohnungen geschaffen. “Das bedeutet einen Zuwachs von rund 110 geförderten Wohnungen jährlich … Da bis zum Jahr 2030 jedoch jährlich rund 300 bezahlbare Wohnungen entstehen müssten, ist die Schaffung weiterer preisgünstiger Angebote notwendig.” (S.48)

und wird sie auch in den nächsten Jahren verfehlen.

GEWOS bestätigt auch unsere Analyse vom März, dass die Stadt selbst mit Planungsrecht nicht genügend bezahlbaren Wohnraum schaffen wird.

“Praktisch hinken die Bautätigkeiten jedoch den Wohnraumbedarfen deutlich hinter her, da trotz zur Verfügung stehendem Planrecht nicht sofort, zu lange oder erst gar nicht gebaut wird. Überdies zeigt sich auch, dass die Bebauungsplanverfahren den Bedarf an geförderten Wohnungen nicht vollumfänglich abdecken und es ist ergänzend der Wohnraumbedarf für Geflüchtete zu berücksichtigen, der mit den vorgesehen Verfahren nicht abgedeckt werden kann. … Es fehlt an Wohnungen, besonders im bezahlbaren Segment ist der Druck hoch.” (S.49)

Die bisherige Politik “Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum” fördert weiterhin die soziale Ungleichheit.

Das Kommunale Handlungskonzept (2018) und das mit Investoren geschlossene Bündnis für bezahlbares Wohnen (2017) hat vor allem den Investoren genützt. Das wird auch weiterhin so sein, weshalb die „soziale Wohnraumversorgung“ auch zukünftig scheitern wird.
Der von der Stadt bezahlte Gutachter drückt das natürlich etwas vorsichtiger und verbindlicher aus:
„… befindet sich das Themenfeld Wohnen in einem Spannungfeld verschiedener gesellschaftlicher Herausforderungen … Das Thema bezahlbarer Wohnraum bleibt also weiterhin ein zentrales Handlungsfeld in der Göttinger Wohnungsmarktpolitik. …Das Planrecht allein mildert die Not nicht, wenn die Realisierung durch Bautätigkeit ausbleibt.” (S.50)

Für Menschen mit niedrigem Einkommen hat sich die Wohnungssituation trotz der Wohnungspolitik der Stadt kein Stück verbessert. Die Folgen der Inflation noch gar nicht berücksichtigt.

Alle Zitate aus:

GEWOS 2023: Aktualisierung der Analyse der sozialen Wohnraumversorgung und Wohnraumbedarfsprognose für die Stadt Göttingen. Hamburg
(Kommentar der Stadt Göttingen zum Gutachten:
„Auf Knopfdruck lassen sich Sozialwohnungen leider nicht herbeizaubern. …
Alle Beteiligten müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln und anpacken“, fordert Look.“
https://www.goettingen.de/portal/meldungen/gutachten-zum-goettinger-wohnungsmarkt-liegt-vor-900001932-25480.html?rubrik=900000003.)

Eigenheime, Eigenheime,…

Stadtentwicklung – Durch wen? Für wen?

Effiziente Wohnungspolitik sozialer Ungleichheit

    • Inhalt ->
    • Wohnungspolitik: „So viel Eigenheime wie möglich …“
    • Wohnungspolitik für wenige
    • Steigender Wohnflächenverbrauch
    • Wachsender Flächenverbrauch
    • Klimaschutz?

    Dass das Göttinger “Kommunale Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung bezahlbaren Wohnraums” bisher gescheitert ist und auch bis 2030 scheitern wird, ist vor kurzem dargelegt worden (https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2023/03/27/die-schaffung-von-bezahlbarem-wohnraum/). Ganz anders sieht die Situation im Segment der Ein- und Zweifamilienhäuser aus. Hier hat die Stadt seit 2016 Planungsrecht schon für fast die Hälfte des für 2030 prognostizierten Bedarfs geschaffen. Hier ist die Stadtpolitik also auf einem erfolgreichen Weg. Für die einkommensstärkere Mittelschicht sorgt die Stadt mit der Ausweisung von Flächen und Planungsrecht, also mit potentiellem Bauland, für Möglichkeiten, den Traum von Eigenheim zu verwirklichen. Es werden Optionen für jene geschaffen, deren Einkommen das auch trotz hoher Zinsen und Inflation erlaubt.

    Wohnungspolitik: „So viel Eigenheime wie möglich …“

    In der bundesdeutschen Wohnungspolitik hat die Eigenheimförderung seit vielen Jahrzehnten einen hohen Stellenwert. Schon 1956 im Zweiten Wohnungsbaugesetz, das den Titel “Wohnungsbau- und Familienheimgesetz” trägt, wird der Förderung von Eigenheimen ein absoluter Vorrang eingeräumt (Jansen 1972, 24). § 1 des Gesetzes benennt als Ziel: „… weite·Kreise des Volkes durch Bildung von Einzeleigentum, besonders in der Form von Familienheimen, mit dem Grund und Boden zu verbinden. Sparwille und Tatkraft aller Schichten des Volkes sollen hierzu angeregt werden.“. Kein Element der praktizierten Wohnungspolitik wird in den nachfolgenden Phasen so systematisch ausgebaut wie die Wohneigentumsforderung”, schreibt Krummacher (1981, 97). Die CDU/FDP-Regierung in Niedersachen hat 2007 bis 2013 nur noch Eigenheimwohnbau gefördert. Von Beginn an verknüpft diese Wohnungspolitik in ihrer Verbindung mit Eigentums- und Familienpolitik auch das Ziel einer politischen Systemstabilisierung (Krummacher ebd.; Jansen 1972). Der CDU-Wohnungsbauminister Lücke begründet das 1963 damit:

    “…, daß das private Eigentum, vor allem in der ursprünglichen Form des Eigentums an Grund und Boden, dem einzelnen Staatsbürger ein gesundes Selbstgefühl gibt und seine Initiative und Verantwortung stärkt. Konkretes privates Einzeleigentum ist eine ganz entscheidende Voraussetzung für die persönliche Freiheit des einzelnen Staatsbürgers. Im eigenen Heim kann sich die Familie am besten entfalten. Wer die freie Entfaltung der Einzelpersönlichkeit und der Familienförderung will, wird daher von selbst den Eigenheimen eine Vorrangstellung einräumen.” (Paul Lücke: Bauen und Wohnen. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 145/1963, p. 4f.)

    Das Motto “Soviel Eigenheime wie möglich, soviel Mietwohnungen wie nötig” hat – bis heute – auch die anderen Volksparteien und auch die FDP überzeugt.
    Diese Wohnungspolitik verfestigt und verstärkt mit der vorrangigen Förderung einkommensstärkerer Schichten die soziale Ungleichheit.

    Wohnungspolitik für wenige

    In einer Studie hat das Marktforschungsinstitut empirica jüngst gezeigt, dass selbstgenutztes Wohneigentum nicht nur “familienfreundlich” ist, denn die Kinder verfügen dort über 4 qm mehr Wohnfläche als Kinder in Mieterhaushalten – vom Garten ganz zu schweigen. Es ist auch ökonomisch vorteilhaft – es fördert die private Vermögensbildung, schafft einen “Vermögensvorsprung” und hält die Wohnungskosten im Alter niedrig . In diesen Genuss der Freiheit und der freien Entfaltung der Einzelpersönlichkeit kommen natürlich nicht alle, nur die Erfolgreicheren. Die Monatseinkommen der Eigenheimbesitzer:innen liegen, so berichtet empirica (2022), in der Regel 50% bis 70% über denen, die zur Miete wohnen.

    Eine Wohnungspolitik für Eigenheimbesitz ist also nicht einfach “familienfreundlich”, sondern ist Wohnungspolitik nur für Familien, die es auch “verdienen”. Und die sind auch in Göttingen nur ein kleiner Teil der Gesellschaft.

    Um diese gut verdienenden Mittelschicht-Haushalte und deren steigenden Wohnflächenverbrauch sorgt sich die Stadt Göttingen mit Erfolg und weist immer weitere Einfamilienhausgebiete aus.

    Göttingen hatte Mitte der 1980er Jahre ungefähr genauso viele Einwohner wie gegenwärtig – bei einer Wohnfläche, die rund ein Viertel kleiner war als die im Jahr 2020. Der Wohnflächenverbrauch ist im gesamtstädtischen Mittel von 30,2 qm (1987) auf 38 qm pro Person (2020) gestiegen. Möglich gemacht hat das auch die Wohnbaulandpolitik der Stadt.

    Steigender Wohnflächenverbrauch

    Sieht man sich den Wohnflächenverbrauch kleinräumig an und setzt ihn in Beziehung zur Sozialstruktur, d.h. hier zum Anteil der Sozialleistungsempfänger an den Einwohnern, zeigt sich eine sehr ungleiche Entwicklung von 1987 bis 2020. In den Statistischen Bezirken mit überdurchschnittlich hohem Anteil von Sozialleistungsempfänger (über 10,4% im Jahr 2020) – Weststadt, Grone, Holtenser Berg und andere (rote Symbole) – ist der Wohnflächenverbrauch nur wenig (und unterdurchschnittlich, d.h. um weniger als 7,7 qm) gestiegen (dass er überhaupt gestiegen ist, kann seinen Grund darin haben, dass es in diesen Bezirken nicht nur Geschosswohnungen gibt). Ebenfalls nur gering gestiegen und z.T. sogar gesunken ist der Wohnflächenverbrauch in der Innenstadt und Teilen der Nordstadt, in denen der Anteil der Studierenden hoch ist. Überdurchschnittlich gewachsen hingegen ist der Wohnflächenverbrauch in Bezirken des Ostviertels, in Geismar sowie in den eingemeindeten Dörfern.

    In einer Studie von OptiWohn (Stadt Göttingen 2020) sind diese sozialräumlichen Unterschiede in der Stadt differenziert dargestellt. Die Studie zeigt, dass der überdurchschnittlich hohe Wohnflächenverbrauch in der Regel mit einem hohen Anteil von Ein-/Zweifamilienhäusern einher geht.

    Der Anteil von Ein-/Zweifamilienhäusern an allen Wohngebäuden beträgt im gesamtstädtischen Durchschnitt 65.1% (2020). In den eingemeindeten Dörfern liegt er aber über 83% (violette Symbole). Überdurchschnittliche hohe Anteile von über 80% weisen auch Bezirke in Geismar auf (Trift, Gehrenring und vor allem das Neubaugebiet Kiessee-Karree), in Weende (Weende-Nord, Stumpfe Eiche) und im Ostviertel (Grotefendstrasse) (Goesis 060.23-2022).

    Wachsender Flächenverbrauch

    1987 gab es in Göttingen 9.998 Ein-/Zweifamilienhäuser (EFH) mit 12.996 Wohnungen, das waren 23.9% aller 54.371 Wohnungen in Göttingen. 2020 waren es 12.534 Ein-/Zweifamilienhäuser mit 15.811 Wohnungen (ebenfalls rund 24% aller Wohnungen). Die Anteilswerte haben sich in dem Zeitraum nicht verändert. Aber absolut gesehen sind “nur” 700 Mehrfamiliengebäude hinzugekommen, auf der anderen Seite aber 2.536 Einfamilienhäuser. Das bedeutet, dass geschätzt 126,8 ha Fläche in Wohnbauland umgewandelt wurden (s. Anmerkung 1), oftmals gutes Ackerland. Und mehr als das Dreifache gegenüber einem Geschosswohnungsbau. Mit der vermehrten Ausweisung von verdichtetem Wohnungsbau ist der Flächenverbrauch zwar auch bei der Eigenheimbauweise gesunken. Aber auch wenn man das berücksichtigt, kommt man immer noch auf eine Fläche von 100 bis 110 ha, die seit 1987 für Eigenheime umgewandelt worden ist.

    Diese Flächen-verbrauchende Wohnbaupolitik der Stadt ist durch Gutachten immer wieder bestärkt worden: 2006 prognostiziert des Gutachten des Pestel-Institutes, dass Göttingen bis 2020 1.100 weitere Einfamilienhäuser benötige und dafür 60 bis 70 Hektar Bauland ausweisen müsse. GEWOS sieht 2013 (p.89) einen Zusatzbedarf von 540 bis 1.050 WE in Ein-/Zweifamilienhäusern bis 2025 (je nach Bevölkerungsentwicklung) und einen Flächenbedarf von 26,9 ha bzw. 53,3 ha. GEWOS 2016 prognostiziert für 2030 einen Zusatzbedarf von 1.300 bis 1.600 WE in Ein-/Zweifamilienhäusern und einen Flächenbedarf von 54,8 ha bzw. 67,7 ha (und bei verdichteter Bauweise 31,7 ha bzw. 39,1 ha).

    Die Stadt legt dann im Flächennutzungsplan 2017 als Planungsrichtlinie einen Bedarf bis 2030 von 1.400 Wohneinheiten in Ein-/Zweifamilienhäusern fest und dafür 80,1 ha Baulandfläche.

    80 ha sind 63% mehr Fläche als für den Geschosswohnungsbau, in dem aber das Zweieinhalbfache, nämlich 3.400 Wohneinheiten geschaffen werden sollen (s. auch Wohnraum Atlas Göttingen 2020, 50).

    Den Monitoringberichten zum “Kommunalen Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung bezahlbaren Wohnraums” kann man entnehmen, dass die Schaffung von Planungsrecht für Eigenheime weitgehend den prognostizierten Bedarfen nachkommt. Ganz im Unterschied zur Schaffung von Planungsrecht, um den Bedarf an bezahlbaren (geförderten) Wohnungen zu decken. Das jüngste GEWOS-Gutachten schreibt wie schon im Gutachten 2017: Es bestehe „aktuell ein deutliches Defizit an bezahlbaren Wohnungen in Göttingen“, nämlich in der gleichen Grössenordnung von jetzt 1.700 Wohnungen – 2017 waren es rechnerisch 1.900 Wohnungen (GEWOS 2023, 40). Die Situation hat sich für die einkommensschwächeren Haushalte – selbst in diesen Modelrechnungen2) – nicht wesentlich zum Besseren geändert.

    Klimaschutz?

    Die Wohnungspolitik sozialer Ungleichheit hat auch gravierende ökologische Folgen. Sie ignoriert, dass der Klimaschutz dringend eine ressourcen- und klimaschonende Bodenpolitik erfordert.

    Im “Masterplan 100% Klimaschutz” (2014) und im “Klimaplan Göttingen 2030” (2020) finden sich zur einer flächenschonenden, die Versiegelung eindämmenden Bodenpolitik – wenn überhaupt – nur allgemeine, unverbindliche Floskeln.

    Der “Flächenfrass” geht unbeirrt weiter. Auch die soziale Ungleichheit wächst weiter.

    Das Motto “Soviel Eigenheime wie möglich, soviel Mietwohnungen wie nötig” muss man heute ergänzen: “… und so wenig Klima- und Bodenschutz wie möglich”.

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    Anmerkung:

      Quellen:

      • Empirica 2022: Wohneigentum in Deutschland. Verbreitung, Freiräume, Vermögensvorsprung und Konsumwelten. Berlin. (www.empirica.de)
      • GEWOS 2023: Aktualisierung der Analyse der sozialen Wohnraumversorgung und Wohnraumbedarfsprognose für die Stadt Göttingen. Hamburg.
      • GEWOS 2016: Wohnraumbedarfsprognose Göttingen.Hamburg.
      • Jansen, Bernd 1972: Wohnungspolitik. Leitfaden durchs kalkulierte Chaos. In: Kursbuch 27, 12-31
      • Krummacher, Michael 1981: Wohnungspolitik in der BRD. In: Prokla 45, 73-112.
      • Lücke, Paul 1963: Bauen und Wohnen. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 145/1963
      • Stadt Göttingen 2020: Quartiersanalyse zur Identifizierung von Flächenoptimierungspotenzialen in Göttingen. Bericht im Rahmen des Projektes OptiWohn.
        Stadt Göttingen: Monitoring zum Kommunalen Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung bezahlbaren Wohnraums. Versch. Jahre

      Gemeinsam gegen Vonovia

      Der grösste deutsche Immobilienkonzern, die Vonovia SE, ist auch in Göttingen der grösste private Wohnungseigentümer in der Stadt – nach Städtischer Wohnungsbau, Wohnungsgenossenschaft und Volksheimstätte.Vonovia ist nicht nur der grösste Immobilienkonzern, sonder auch super erfolgreich. Stolz berichtet der Konzern im Frühjahr 2023:

      “Die erstklassige Bonität von Vonovia ermöglicht weiterhin einen uneingeschränkten Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten. … In einer Phase, die für den Immobiliensektor sehr schwierig war, hat Vonovia im November 2022 erneut ihren exzellenten Kapitalmarktzugang unter Beweis gestellt, den Anleihemarkt für die Immobilienbranche wieder eröffnet …” (p.35) usw.

      Kurz gesagt, der Konzern ist exzellent kreditwürdig, weil er sicher und beständig exzellente Renditen erwirtschaftet. Die Dividende für die Aktionäre konnte Jahr für Jahr zuverlässig gesteigert werden.

      “Dividendenkontinuität hat für Vonovia eine hohe Priorität, und eine angemessene Dividende ist auch im jetzigen Umfeld ein wichtiges Ziel, nicht zuletzt aufgrund einer wesentlichen Gruppe von Aktionären, die für ihr Investment eine angemessene Dividende erwartet.” (p.33)

      Dieses Jahr soll die Dividende allerdings erstmals niedriger als im Vorjahr ausfallen. Eigentümer fordern “Kapitaldisziplin” – nicht Mietendisziplin. “Kapitaldisziplin” – nicht weil Vonovia 2022 weniger Gewinn gemacht hätte, der ‘operative Gewinn’ stieg im vergangenen Jahr sogar um 20%, denn das Vermietungsgeschäft lief stabil bei nahezu Vollvermietung. Doch angesichts des “jetzigen Umfeldes” – gestiegene Zinsen und hohe Inflation – soll der Konzern liquide bleiben: weniger Gewinne ausschütten, durch Verkäufe Schulden abbauen, Ausgaben, d.h. Investitionen, deutlich reduzieren.

      Die für die Aktionäre so schmerzliche Einkommenskürzung, wenn statt 1,3 Milliarden Euro nur etwa die Hälfte verteilt wird, ist aber – so beruhigt der Vorstand die Aktionäre – nur vorübergehend. Die Konzernleitung ist sich sicher:

      “Die Megatrends als Werttreiber des Geschäftsmodells bestehen unverändert fort. Der Wohnungsbestand von Vonovia ist faktisch vollvermietet und garantiert damit sichere und stabile zukünftige Cashflows. Die Wohnungsknappheit in den Ballungszentren sorgt unverändert für eine starke Nachfrage … , insbesondere vor dem Hintergrund, dass die politischen Neubauziele in Deutschland derzeit nicht erreichbar scheinen. Das operative Geschäft steht somit auf einem höchst soliden Fundament.” (p.38)

      Was geht dieses schwer durchschaubare finanztechnische Zahlenwerk die Vonovia-Mieter an? Sie müssen die ‚Liquidität‘ herstellen und sichern – durch ihre Mietzahlungen. Sie können dem Zahlenwerk das Versprechen entnehmen, dass Vonovia weiterhin stetig die Mieten erhöht, um liquide’ zu bleiben. Um rund 3% pro Jahr hat Vonovia bisher die Mieten erfolgreich gesteigert, das soll es mindestens auch zukünftig sein, egal wie stark die Inflation die Mieter verarmt.

      Bisher hat Vonovia nach eigenen Angaben die Mietpreise in ihren deutschen Wohnungsbeständen erfolgreich verteuert, um 29% stieg die durchschnittliche Quadratmetermiete (Bestand) von Ende 2015 bis Ende 2022. Für Göttingen sind nur die Angebotsmieten bekannt; die stiegen in dem Zeitraum um 53%.

      Neben der Kaltmiete macht Vonovia durch ihre Tochtergesellschaften auch mit der Abrechnung von Nebenkosten gute Geschäfte. Für die Bewirtschaftung der Wohnungen hat sie Tochtergesellschaften gegründet, so dass die Vonovia (Tochtergesellschaft) der Vonovia (Zentrale), also Vonovia sich selbst Rechnungen schreiben und Gewinne berechnen kann. (Der Konzern nennt das eine “Value-added-Strategie”). Viele, manche Mietervereine sagen sogar, jede zweite Nebenkostenabrechnung sei überhöht und falsch.

      Der Deutsche Mieterbund hat ausgerechnet, dass 2020 bereits 38% der Mieteinnahmen direkt an die Aktionäre gingen. Bei einer Kaltmiete von 600 Euro im Monat sind das über 225 Euro, die ein Vonovia-Mieter monatlich an die Aktionäre – an den norwegischen Staatsfonds, an Blackrock, an einen niederländischen Pensionsfonds usw. – zahlt.

      In vielen Städten schliessen sich Vonovia-Mieter*innen in einer Mieterinitiative zusammen. Auch in Göttingen ist eine (neue) geplant. Gemeinsam gegen Vonovia! Zusammen gegen den Mietenwahnsinn!

      Am 20.5.2023 findet anlässlich der Hauptversammlung der Vonovia-Aktionäre eine Demonstration in Bochum statt (https://gemeinsam-gegen-vonovia.de/)

      Kommt am 20.5 zur Demo!
      Bringt Eure Nachbar*innen, Bekannten und Freund*innen mit!

      (alle Zitate aus: Vonovia SE (2023): Geschäftsbericht 2022 Verlässlich handeln.)