LEG (3)

Hohe Nebenkosten für die Mieter
Rechtsschutz für das Eigentum

In Grone haben die LEG-Mieter:innen existenzbedrohende Nebenkostenabrechnungen für das Jahr 2022 erhalten. Die von der LEG in Rechnung gestellten Nachforderungen sind in etlichen Fällen so hoch, dass sich der Rat der Stadt Göttingen genötigt gefühlt hat, eine Solidaritätserklärung abzugeben (GT 19.2.2024). Die (mit)regierende SPD formuliert in einem Ratsantrag vom 1.2.2024 dazu:

„Niemand sollte gezwungen sein, die Wohnung wechseln zu müssen, weil er/sie extrem gestiegene Heizkostennachforderungen nicht zahlen kann, die aus Verträgen über börsennotierten Gaspreisschwankungen resultieren, von denen er/sie nichts wusste und die er/sie selbst nicht beeinflussen konnte.“

Ob SPD-Politiker sich in dem von ihrer Partei ja tatkräftig mitgestaltetem Rechtsstaat auskennen, scheint nach der Veranstaltung letzte Woche fraglich. Die LEG hat nicht nur die Energielieferverträge öffentlich gemacht, sondern auch gleich ein von ihr beauftragtes Rechtsgutachten. Wenig überraschend kommt dieses Gutachten zu dem Schluss, dass die Forderungen der LEG rechtmässig und wirksam sind.

Ob diese Auslegung des Rechts vor Gericht auch Recht erhält, ist schwer einzuschätzen. Interessant ist aber, welche rechtlichen Bestimmungen sie heranziehen (können), um die Forderungen der LEG als rechtmässig zu begründen. Wen schützt der soziale Rechtsstaat?

Dass der Schutz des Privateigentums zum Kern des demokratischen Rechtsstaates gehört, ist ja bekannt. Doch verbreitet ist die Hoffnung, dass die Mieterrechte einen tauglichen Schutz vor den Zugriffen der Vermieter (vor allem bei Kündigung und Mieterhöhung und z.T. auch den Nebenkosten) bieten. Warum in diesem Fall der extremen Nebenkosten der Rechtsstaat die Vermieter, also die Eigentümer, nicht im Regen stehen lässt – so das Gutachten – , ist aufschlussreich.

Zunächst zum Sachverhalt, der Grundlage für die juristischen Auseinandersetzungen:

Die Westgrund Niedersachsen Süd GmbH, Tochterunternehmen der Adler Real Estate, schliesst wohl mit der Adler Energy Service GmbH, Berlin, einen Vertrag über die Lieferung von Wärme für ihre Wohnungen ab. 2017 schliesst die Adler Energie Service GmbH mit der mit enercity Contracting GmbH, Hannover, Tochtergesellschaft derenercity AG, Hannover, eine auf 5 Jahre befristeten Wärmliefervertrag für die Zeit vom 1.1.2017 bis 31.12.2022 ab. Dieser Vertrag legt die (Grund- und Arbeits-) Preise für die Gaslieferungen fest – und zwar einen „Basispreis“ für jeden Gebäudekomplex einzeln (also 25 verschiedene für Grone) sowie die Preisänderungsklauseln (Koppelung an einen Börsenkurs). Im Oktober 2021 meldet die LEG den Kauf von fast 90% der Westgrund-Immobilien (Share-Deal) und übernimmt die Wohnungsbestände zum 1.1.2022. Auf dieser Rechtsgrundlage berechnet die LEG die Nebenkosten und verschickt die Hiobsbotschaften pünktlich zum Weihnachtsfest 2023. Die Wärmekosten haben sich 2002 gegenüber 2021 mehr als verdoppelt (+114% laut LEG). In 18 Fällen liegen die Nachforderungen über 5.000 Euro.

Das Rechtsgutachten im Auftrag der LEG stellt fest: Die Nachforderungen sind rechtlich korrekt. Aus der Begründung:

1. Der Vertrag über die „börsennotierten Gaspreisschwankungen“ ist rechtens („wirksam“). Westgrund durfte solch einen „Wärmevertrag“ abschliessen und die Kosten auf die Mieter umlegen.
Ein wirtschaftlicher Schaden für die Mieter, der einen Schadensersatzanspruch begründet, sei nicht entstanden. Und wenn, dann hätten Mieter, die schon im Dezember 2017 dort wohnten – und nur die – , sich gegen die Änderungen (Lieferung durch enercity) wehren können und den Schaden nachweisen müssen. Haben sie aber nicht. Und hätten sie damals wahrscheinlich auch nicht können.

2. Alle neuen Mieter nach Ende 2017 haben diesem Gasliefervertrag – rechtlich gesehen – mit dem Mietvertrag zugestimmt. Sie haben sich – so die rechtsstaatliche Annahme – vor Vertrags-unterzeichnung auch den „Wärmevertrag“ samt Preisänderungsklausel genau angesehen. Wenn sie mit börsennotierten Gaspreis nicht einverstanden gewesen wären, hätten sie den Mietvertrag auch nicht unterschrieben. Ob sie angesichts der Wohnungsmarktsituation überhaupt eine Wahl gehabt hätten und zu einen anderen Vermieter hätten wechseln können, das ist rechtlich nicht von Bedeutung. Vertrag ist Vertrag und Verträge sind einzuhalten.

Ein Vertrag ist etwas sehr Grundlegendes in einer freiheitlichen Gesellschaft und Marktwirtschaft. Und das Vertragsrecht ein zentraler Baustein des Rechtsstaates. In einem Vertrag regeln zwei Parteien mit unterschiedlichen, gegensätzlichen Interessen die Bedingungen von Kauf/Verkauf. Formal sind die beiden Parteien gleichgestellt, gleich berechtigt. Sie sind auch (fast) völlig frei darin, welche Bedingungen sie vereinbaren. Der Rechtsstaat sorgt mit seiner Justiz dafür, dass Verträge – welchen Inhalt sie auch haben – eingehalten werden. Auf dieses grundlegende Rechtsprinzip der Vertragsfreiheit sind besonders CDU und FDP stolz (auch die AfD) und möchten es gern in möglichst allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen zum Prinzip machen (Liberalisierung).

Doch die gleich berechtigten Vertragsparteien sind nicht unbedingt auch gleich mächtig. Ihre Möglichkeiten sind sehr verschieden, was ihre Finanzen, ihr Wissen oder etwa ihre Erfahrungen im Umgang mit Institutionen betrifft. Mieter kennen sich in der unübersichtlichen Rechtslage nicht aus, Vermieter haben juristische Abteilungen. Mieter können nicht auf eine Wohnung verzichten; Vermieter müssen nicht zu jedem Preis vermieten, sie können die Wohnung auch längere Zeit leer stehen lassen.
Formal gleich, aber ökonomisch höchst ungleich – Mieter kennen dieses Machtverhältnis und die negativen Folgen für die Mieter zur genüge. Dass Grund- und Hauseigentümer immer wieder auf ihre Vertragsfreiheit pochen, sie einfordern und eine Ausweitung des Mieterschutzes ablehnen, zeigt: Der Rechtsschutz der Vertragsfreiheit ist für das Eigentum, für die Vermieter ein ganz zentraler, nützlicher Schutz.

Das LEG-Rechtsgutachten fordert, dass die Mieter ihren Vertragspflichten nachkommen, und führt aus, dass die Vertragspartei LEG sich an das Vertragsrecht gehalten hat. Auch in puncto Wirtschaftlichkeitsgebot.

3. Im Fall der Vermietung hat die Vermieter-Partei die Pflicht, den Mieter von „unnötigen Kosten“ „freizuhalten“. Für die Posten der Nebenkosten, die auf den Mieter umgelegt werden können, gilt das Gebot der Wirtschaftlichkeit.

Hätte die LEG die Gefahr von absehbar steigenden Börsenkursen für Gas von den Mietern abwenden müssen? Hätte die LEG den Liefervertrag rechtzeitig kündigen und den Lieferanten wechseln müssen? Wie zu erwarten argumentiert das Gutachten, ein Pflichtverletzung seitens der LEG liege nicht vor. Und überhaupt müsse laut Gesetz das Gebot der Wirtschaftlichkeit nur ‚beachtet‘ werden, könne nur innerhalb von 12 Monaten nach Zugang der Abrechnung ‚eingefordert‘ werden, usw.


Man ahnt den Spielraum für die Interpretation des Gesetzes Ob das Gutachten das Recht richtig oder doch einseitig/falsch auslegt, das entscheidet letztlich ein Gericht. Man ahnt auch den juristischen Aufwand, der nötig sein könnte, sich in aufwändigen und langwierigen Gerichtsprozessen gegen die LEG durchzusetzen. Und wie sollen Mieter, die auf eine preisgünstige Wohnung angewiesen sind, diesen Aufwand bezahlen? Die ökonomisch ungleiche Macht schlägt erneut zu.

Ob die Solidarität des Göttinger Stadtrates die Kosten für solchen möglichen Rechtsstreit übernimmt? Oder besteht sie darin, einigen Mietern – eventuell und nach Prüfung mit etwas Geld – zu helfen, den Vertrag zu erfüllen?

Der Rechtsstaat schützt neutral und formal „nur“ den Vertrag. Dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen nicht alle gleich treffen, dem einen mehr schaden, den anderen in seinen wirtschaftlichen Interessen schützen und nützen, ist bekannt, vielleicht bedauerlich, aber Recht.

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