Eine Hilfe für Göttingen?
DGB Niedersachsen: Landeswohnungsbaugesellschaft – Schnee von gestern
In Göttingen fehlen Tausende von bezahlbaren Wohnungen. Der Stadtpolitik gelingt es nicht, diese Wohnungsversorgung sicher zu stellen. Kommt jetzt mit der neuen Landeswohnungsgesellschaft Hilfe aus Hannover?
Die niedersächsische Landesregierung hat im Dezember 2023 eine Gesellschaft gegründet, um in Ergänzung der bestehenden Sozialen Wohnraumförderung den sozialen Wohnungsbau voran zu bringen. Seit Jahren fordern Verbände, der DGB Niedersachsen und Experten, dass der soziale Wohnungsbau deutlich ausgeweitet werden muss. Nun hat die rot-grüne Landesregierung reagiert und will mit einem eigenen Unternehmen, der „WohnRaum Niedersachsen GmbH“ den sozialen Wohnungsbau massgeblich voran bringen. Was genau soll sie leisten?
1 Der Auftrag
2 Welchen Beitrag kann man erwarten?
3 Die Vorgeschichte
4 Was leistet die Landeswohnungsgesellschaft? …. leider
1 Der Auftrag
„Die Gesellschaft soll in Regionen mit hohem Bedarf, überwiegend im urbanen Raum, zusätzlichen bezahlbaren beziehungsweise geförderten Mietwohnraum in Niedersachsen entwickeln – immer in enger Abstimmung mit den Kommunen, dem Verband der Wohnungswirtschaft und den vor Ort aktiven öffentlichen und privaten Wohnungsgesellschaften.
Dabei wird sich die Landeswohnungsgesellschaft als Partner im Verband der Wohnungswirtschaft an der Seite der Wohnungsbaugesellschaften positionieren und im gemeinsamen Miteinander von Kommunen und Wohnungsunternehmen am Markt agieren.
Die Landeswohnungsgesellschaft kann je nach Projekt dabei sowohl selbst als Bauherrin, aber auch als kooperierende Projektpartnerin beziehungsweise bei kommunalen Projekten, die ohne die Gesellschaft unter den aktuellen Bedingungen keine Chance auf Realisierung haben, auftreten. Das wird in starkem Maße von den Möglichkeiten und Bedarfen vor Ort abhängig sein.“ (1)
Die Aussagen zu den Aufgaben dieses Unternehmens bleiben recht allgemein: „am Markt agieren“, „Partner im Verband der Wohnungswirtschaft“, „kooperierende Projektpartnerin“, ja auch „ selbst als Bauherrin“. Deutlich ist nur, dass die Landesregierung mit ihrem Unternehmen der privaten Wohnungswirtschaft keine Konkurrenz machen will. Nicht Konkurrent, sondern Partner von kommunalen und genossenschaftlichen Unternehmen und von privaten Investoren soll die Landes-wohnungsgesellschaft sein – „Genau so ist es gedacht“ (Wirtschaftsminister Lies, 12.10.2023) (2)
Die WohnRaum Niedersachsen GmbH soll dabei helfen, mehr sozial geförderten Wohnraum zu schaffen. Denn den habe die „sehr stark renditeorientierte“ „extreme Bautätigkeit“ in den letzten Jahren nicht geschaffen (ebd.). Und jetzt könnten die Privaten das nicht – wegen gestiegener Zinsen, hohen Preisen, Fachkräftemangel usw. Um das Investieren wieder lohnend zu machen, arbeite die Landesregierung daran: „Wie bekomme ich ein Gebäude eigentlich günstiger“? Neben Gebäudetyp E, höheren Abschreibungen u.a.m. gehört zum „Bau-Turbo-Pakt“ auch die Landeswohngesellschaft. Denn mit „einem eigenen Wohnungsbestand kann man eben einen Beitrag leisten, damit das Menschenrecht Wohnen am Ende garantiert wird.“ (ebd.)
Dass diese Landeswohnungsgesellschaft erst jetzt kommt, obwohl das Problem schon seit vielen Jahren besteht, liegt – so die SPD – an der CDU, die es in der ‚Großen Koalition‘ von Ende 2017 bis 2022 blockiert habe. Und in der Zeit 2013-2017 sah die rot-grüne Regierung offenbar keine Notwendigkeit. Es gab ja die Mietpreisbremse.
2 Welchen Beitrag kann man erwarten?
Der Evangelische Pressedienst epd (vom 11.12.2023) zitiert den Wirtschaftsminister: Der WohnRaum Niedersachsen GmbH wird ein Startkapital von 100 Mio. Euro zugewiesen. Zusammen mit Förderkrediten in Höhe von rund 240 Mio. Euro und weiteren 90 Mio. Euro von Krediten auf dem freien Markt „ bestehe unter den aktuellen Marktbedingungen die Möglichkeit, zunächst einen Bestand von etwa 1.600 landeseigenen Wohnungen aufzubauen. „Rund 90 Prozent dieser Wohnungen wollen wir neu bauen.“ Der überwiegende Teil der künftigen Wohnungen soll zudem im sozial geförderten Segment mit Quadratmeterpreisen zwischen 6,00 Euro und 7,50 Euro entstehen.“
Das wären etwa 1450 neue Wohnungen und davon der „überwiegende Teil“, vielleicht um 1.300 sozial geförderte Wohnungen „in den nächsten Jahren“. Bis 2040 sollen es dann 20.000 werden.
Um die Zahl einzuordnen: Die Landesregierung sagt, dass bis 2040 147.000 Geschosswohnungen fehlen, davon allein bis 2031, also „in den nächsten Jahren“, 96.000 Wohnungen (WOM 2023, 68). Rund 1.300 geförderte neue Wohnungen für ganz Niedersachsen !? Das klingt bescheiden. Aber angesichts der traditionell sehr niedrigen Mengen sozial geförderter Mietwohnungen in Niedersachsen könnte es glatt eine Verdoppelung bedeuten. Dass allein in Göttingen, so das GEWOS-Gutachten (2023), bis 2030 2.100 bezahlbare Wohnungen fehlen, das ist nun ja bedauerlich. Viel kann man in Göttingen also wohl nicht erwarten.
Es verwundert nicht, dass der bescheidene Beitrag durch die Landeswohngesellschaft bei Verbänden, die für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten – z.B. Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesarmutskonferenz – , wenig Begeisterung ausgelöst haben. Niedersachsen wird damit weiterhin zu den Schlusslichtern unter den Bundesländern gehören, was die Schaffung von Sozialwohnungen bezogen auf die Zahl der Mieterhaushalte angeht (Pestel 2023).
3 Die Vorgeschichte
Wie kam es überhaupt dazu, eine Landeswohnungsgesellschaft einzurichten?
Ende der 2010er Jahre war das Versagen der Sozialen Wohnraumförderung in Niedersachsen so deutlich unübersehbar, dass auch Gewerkschaften wie der DGB Niedersachsen von einer Wohnungskrise sprachen und eine Änderung der Wohnungspolitik forderten.
Im Januar 2019 forderte der DGB Niedersachsen in einem 30seitigen Papier detaillierte „Schritte aus der Wohnungskrise in Niedersachsen“ (DGB 2019). Zu ihnen gehörte eine „Landeswohnbaugesellschaft als elementare Säule der Wohnungspolitik!“.
Die LandeswohnBAUgesellschaft sollte u.a.
– dauerhaft bezahlbaren Wohnraum schaffen, also keine zeitliche Begrenzung der Mietpreisbindung,
– keine Gewinne ausschütten, sondern sie reinvestieren,
– eine eigene Bausparte aufbauen,
– Mietermitsprache stärken
– unveräußerlicher Landesbesitz sein, etwa in der Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts.
Die LandwohnungsBAUgesellschaft war vom DGB gedacht als ein weiterer Akteur auf dem Wohnungsmarkt, der durch öffentlichen Wohnungsbau vor allem in „angespannten Wohnungsmärkten“ dazu beiträgt, die Mieten bezahlbar zu halten. „Wohnungsbau: Markt oder Staat? Beides!“ (DGB 13.2.2020)
Aber in der Konzeption war es auch ein Ansatz zu einer neuen Wohnungspolitik, einer Wohnungswirtschaft, die nicht von Renditekalkulationen gesteuert wird, sondern von der Versorgung der Menschen. Das Bündnis „Gutes Wohnen für Alle“ hat daher diesen Vorschlag ausdrücklich unterstützt, unter anderem mit einer Podiumsdiskussion im Juli 2021.
Was ist aus der Forderung des DGB geworden? Im Februar 2020 übernimmt die SPD Niedersachen das DGB-Konzept einer Landeswohnungsbaugesellschaft (SPD 2020), begrüsst es „ausdrücklich“ , aber leider blockiere die CDU. Im Februar 2022 mahnt der DGB, endlich mit der Gründung voranzumachen (DGB 2022). Im Mai 2023 erinnert der DGB noch einmal daran, dass eine LandeswohnBAUgesellschaft nützlich wäre (DGB 2023a). Doch die Wahlkampfzeiten sind vorbei. Seit November 2022 regiert wieder rot-grün. Mit der Möglichkeit des Einstiegs in eine andere Wohnungspolitik muss man Wählerinnen nicht mehr locken. „Ideologische Fragen“, so Schmitt, müssen nicht länger diskutiert werden:
„Susanne Schmitt, Direktorin des Verbandes der Wohnungswirtschaft in Niedersachsen hält die Forderung nach einer Landeswohnungsbaugesellschaft eher für eine „ideologische Frage“.“ (GT 18.9.2020)
Im Herbst 2019 hatten auch die Grünen eine Landeswohnbaugesellschaft gefordert, aber keine wie der DGB, sondern sie wollten – „als ersten Schritt“ – einen Ausbau der Niedersächsischen Landgesellschaft NLG. Nach der gewonnene Landtagswahl an der Macht wird aus der Landeswohnbaugesellschaft eine Landeswohnungsgesellschaft: Im Koalitionsvertrag SPD-Grüne (November 2022) lautet das Ziel nun: „gründen wir im ersten Regierungsjahr eine gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Landeswohnungsgesellschaft. Aufgabe der Gesellschaft sind der Kauf, die Sanierung und die Schaffung von Wohnraum“ (Koalitionsvertrag 2022, 19).
Vom DGB-Vorschlag ist nichts mehr übrig geblieben. Dennoch begrüsst er im Dezember 2023 die – ganz andere- Landeswohngesellschaft als einen „Grundstein“ und als eine erfolgreiche „Umsetzung einer zentralen Forderung des DGB“ (DGB 2023b).
4 Was leistet die Landeswohnungsgesellschaft? … leider
Ein paar mehr bezahlbare Wohnungen. Zu wenige, aber jede hilft. Und Göttingen profitiert vielleicht, weil die Geschäftsführerin der WohnRaum Niedersachsen GmbH zuvor Tochtergesellschaften der Klosterkammer Hannover geleitet hat und die Klosterkammer Haupt-Projektentwickler im geplanten Europaquartier ist.
Eine „Zeitenwende“ in der Wohnungsversorgung wird die Landeswohngesellschaft nicht bringen. Sie soll den WohnungsMARKT ja auch nur ergänzen, dort wo der Wohnungsneubau sich nicht rentiert.
Aber eines leistet diese Gesellschaft für die Politik schon: den Nachweis, dass die Politik sich kümmert.
Die Politik erklärt die Forderungen nach mehr bezahlbarem Wohnraum für berechtigt (hierfür muss allerdings ein fiktives, dem Staat übergeordnetes Rech herhalten – das “Menschenrecht“). Aber sie anerkennt dieses Interesse nicht nur. Sie kümmert sich auch und handelt – z.B. mit einer Landeswohngesellschaft, mit einem „Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum“. Allerdings stehen dem bekundeten guten Willen und dem höheren Menschenrecht so grosse Hürden entgegen, „Sachzwänge“ machen es ihr so schwer, „Sachzwänge“, die die Politik selbst eingerichtet hat wie etwa den, dass die Wohnungsvermietung ein profitables Geschäft sein muss, „Sachzwänge“, die auch ein Menschenrecht nicht überwinden kann., so dass die berechtigten Interessen leider nicht zu verwirklichen sind.. .
Wie sehr sich die SPD für bezahlbares Wohnen ins Zeug legt und welche Hürden und „Sachzwänge“ dem Menschenrecht auf bezahlbares Wohnen leider entgegenstehen, will die SPD am 23.5.2024 im Alten Rathaus auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung vorführen.
Angekündigte Teilnehmer der Veranstaltung: Wirtschaftsminister Lies (SPD), Dr. Susanne Schmitt, Marco Brunotte (AWO, SPD-Landtagsabgeordneter 2008-2017).
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Die am 24.1.2024 im Handelsregister eingetragene Landeswohnungsgesellschaft heisst „WohnRaum Niedersachsen GmbH“. Sie ist zu 100% eine landeseigene Gesellschaft mit einem Stammkapital von 600.000 Euro, Sitz: Hannover, Spohrstr. 2. Seit dem 2.5.2024 ist Sylvia Viebach die Geschäftsführerin; sie war zuvor Geschäftsführerin zweier Tochtergesellschaften der Klosterkammer Hannover, der Liemak Immobilien GmbH und der AKH Grundbesitzgesellschaft mbH. „Sie verantwortet in Abstimmung mit den Aufsichtsgremien die Realisierung des Markteintritts bzw. die Entwicklung eines landeseigenen Wohnungsportfolios.“ … (Sie soll) in Ergänzung zu und in Partnerschaft mit den bereits etablierten Wohnungsgesellschaften, -genossenschaften und Unternehmen als unmittelbar gestaltende Akteurin aktiv werden.“ (/https://wohnraum.niedersachsen.de/startseite/geschaftstatigkeit/informationen_portfolioaufbau/)
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Quellen
1) (https://www.mw.niedersachsen.de/startseite/bauen_wohnen/wohnraum_niedersachsen_landeswohnungsgesellschaft/wohnraum-niedersachsen-landeswohnungsgesellschaft-227933.html; vom 8.2.2024)
2) Niedersächsischer Landtag, 19. Wahlperiode,,Stenografischer Bericht, 23. Plenarsitzung am 12. Oktober 2023.
3) Evangelischer Pressedienst epd: http://www.epd.de
4) WOM 2023: Nbank 2023: Wohnungsmarktbeobachtung 2023. Hannover.
5) GEWOS 2023: Aktualisierung der Analyse der sozialen Wohnraumversorgung und Wohnraumbedarfsprognose für die Stadt Göttingen. Juni 2023.
6) Pestel 2023: Pestel Institut: Bauen und Wohnen in der Krise. Aktuelle Entwicklungen und Rückwirkungen auf Wohnungsbau und Wohnungsmärkte. Hannover
7) DGB 2019 : Bezahlbarer Wohnraum für alle. Schritte aus der Wohnungskrise in Niedersachsen. Hannover.
8) SPD 2020: Pressemitteilung vom 6.2.2020 (https://www.spdnds.de/2020/02/06/mehr-bezahlbarer-wohnraum-fuer-niedersachsen-spd-will-neue-landeswohnungsbaugesellschaft-schaffen/)
9) DGB 2020: Schlaglicht 06/2020; DGB 2022: DGB Schlaglicht 07/202; DGB 2023a: DGB Schlaglicht 17/2023; DGB2023b: DGB PM048/2023
10) Koalitionsvertrag 2022: SICHER IN ZEITEN DES WANDELS – Niedersachsen zukunftsfest und solidarisch gestalten. Koalitionsvertrag zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) Landesverband Niedersachsen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen 2022 – 2027, p.19)