In der gemeinsamen Sitzung des Bau- und Sozialausschusses am 8.3. wurde das „Kommunale Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in Göttingen“ gegen die Stimmen der CDU beschlossen. Das Göttinger Tageblatt berichtet gar von einer „fast euphorischen Zustimmung der anderen Parteien“. Betrachtet man den Beschluss und das Handlungskonzept etwas genauer, kann es in der Tat nur ein erster Schritt sein. Denn es krankt an sehr ähnlichen Punkten wie der Sozialwohnungsbau. Eine langfristige Lösung des Wohnungsmangels in den günstigen Preissegmenten ist es jedenfalls nicht.
Das Kommunale Handlungskonzept beinhaltet zwei zentrale Instrumente: die Einführung einer 30%-Quote für bezahlbaren Wohnraum bei Neubauprojekten und die Anreizförderung zum Ankauf von Belegungsrechten.
30%-Quote für bezahlbaren Wohnraum bei Neubauprojekten
Eine solche Quote ist seit langem eine der zentralen Forderungen zur Schaffung günstigen Wohnraums. Dahinter steckt die Idee, dass bei jedem Neubauprojekt 30% der Wohnungen im günstigen Mietpreissegment angesiedelt sein sollen. Die CDU kritisiert daran, dass die anderen neugebauten Wohnungen die günstigen Wohnungen querfinanzieren müssen. Damit liegt sie nicht ganz verkehrt. Zu beachten ist aber zweierlei: Es gibt wohl keinen privaten Investor, der mit seinen Objekten nicht Gewinne erzielt. Die Regelung zielt eigentlich nicht darauf ab, dass der Investor die hohen Gewinne auf Kosten der übrigen MieterInnen realisiert. Dies dürfte dennoch der Fall sein und entsprechend die Göttinger Mieten weiter steigen. Die CDU täte wohl besser daran, nicht die Stadt, sondern die Investoren für ihre Handlungen zu kritisieren.
Die Forderung nach der Einführung einer Quote hat ursprünglich noch ein anderes Ziel: Es geht darum, die Spekulation auf Bodenpreissteigerungen zu stoppen. Die Bodenpreise sind in der Stadt Göttingen in den letzten Jahren stark gestiegen. Diese Bodenspekulation geht indes auch davon aus, dass sich die Zahlung der teuren Bodenpreise über hohe Mietpreise wieder rentiert. Wird eine solche Quotenregelung eingeführt, so dürfte die Spekulation auf Bodenpreissteigerungen, die die eigentlichen Mietpreistreiber sind, zumindest etwas gebremst werden. Ob dies tatsächlich eintrifft, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Dies würde aber auch eine wirkmächtige Quote voraussetzen. Und hier krankt die Göttinger Konstruktion ganz erheblich:
- Die 30%-Quote für günstigen Wohnraum von 5,60 €/m² gilt erst ab 2021, also erst in drei Jahren. Bis dahin gibt es eine 15%-Quote für Wohnraum bis 5,60 €/m², sowie eine zusätzliche 15%-Quote für Wohnraum bis 7,00 €/m². Damit wird die eigentliche Quote stark verwässert und auch erst für Bauprojekte mit mehr als 12 Wohneinheiten umgesetzt. Zur Zeit wird Baurecht für ca. 2000 Wohneinheiten geschaffen, die in den nächsten zwei Jahren realisiert werden sollen. Damit ist klar, dass in diesen Verfahren höchstens die abgespeckte Quotenregelung zum Tragen kommt und die Chance vertan wird, hier mehr günstige Wohnungen zu schaffen.
- Die Quote kann zum Teil und bei Bedarf im Rahmen einer sogenannten mittelbaren Belegung erfüllt werden. Dies bedeutet, dass Investoren die Quote für bezahlbaren Wohnraum auch in bereits bestehenden Beständen mit günstigen Wohnungen sicherstellen können, die bisher nicht in der Belegungsbindung sind. Die bestehenden günstigen Wohnungen können so auf die Quote im Neubau angerechnet werden. Folglich können neue Bauprojekte ohne eine einzige neue günstige Wohnung realisiert werden. In einem solchen Fall wird also günstiger Wohnraum lediglich gesichert, aber kein neuer geschaffen.
- Wie bei anderen Sozialwohnungsprogrammen gibt es auch hier eine Bindungsfrist, nach der die Wohnungen entsprechend der aktuellen Angebotsmieten vermietet werden können. Dies ist in der Göttinger Konstruktion abhängig von den Landesförderrichtlinien 20 bzw. 30 Jahre und im frei finanzierten (also nicht subventionierten) Wohnungsbau 10 Jahre. In naher Zukunft steht die Stadt damit vor dem gleichen Problem wie jetzt. Sie hat wieder keine Handhabe zur Bereitstellung günstigen Wohnraums. Dieses Problem ist wirklich nicht neu, sondern führt schon seit Jahren zur Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes. Die Stadt agiert hier sehenden Auges.
- Darüber hinaus sind individuelle Ausnahmen möglich. Begründet wird dies insbesondere damit, dass man in Quartieren mit ohnehin schon hohem Anteil an Transferleistungsbeziehenden keine Segregation fördern möchte. Faktisch ist damit aber einer völligen Aufweichung der Quotenregelung Tür und Tor geöffnet.
Alles in allem ist damit die Wirkmächtigkeit der Quote stark eingeschränkt und dürfte wohl eher ein öffentlichkeitswirksamer Tropfen auf den heißen Stein sein als ein wirkmächtiges Instrument zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums.
Anreizförderung zum Ankauf von Belegungsrechten
Das zweite zentrale Instrument im Kommunalen Handlungskonzept ist die Anreizförderung zum Ankauf von Belegungsrechten. Hier nimmt die Stadt Göttingen sogar 3,5 Mio. € in die Hand. Es muss ihr also tatsächlich sehr wichtig sein. Die Stadt argumentiert, dass die bisherige Landesförderung, die aus einer Gewährung zinsloser Darlehen für eine Belegungs- und Mietpreisbindung für 20 Jahre sowie anschließend möglichem Darlehensnachlass von 15%, der gewährt wird, wenn der Investor den Wohnraum noch weitere 10 Jahre bindet, aufgrund der niedrigen Zinslage nur „bedingt attraktiv“ ist. Investorenberatungsfirmen machen aber deutlich, dass auf lange Sicht der geförderte Wohnraum sogar höhere Renditen abwirft als frei finanzierter.
Dennoch will die Stadt hier für Anreize sorgen, dass die Landesförderung für sozialen Wohnungsbau in der Stadt stärker genutzt wird. Dazu ist die sogenannte Anreizförderung und der Ankauf von Belegungsrechten vorgesehen:
- Im Bereich der Anreizförderung wird in Quartieren mit niedrigem Anteil von Transferleistungsbeziehenden der Neubau von Sozialwohnungen 10 Jahre lang ein Mietzuschuss von 1 €/m² und Jahr gewährt oder ein Sofortzuschuss von 160 €/m². Dies geschieht additiv zur Landesförderung. Die Kaltmiete darf maximal 5,60 €/m² betragen.
- Der zweite Bereich, der Ankauf von Belegungsrechten, findet ebenfalls in Quartieren Anwendung, die einen niedrigen Anteil von Transferleistungsbeziehenden haben. Hier wird ein Sofortzuschuss von 120 €/m² gewährt, wenn die Kaltmiete 5,60 €/m² nicht überschreitet. Die Bindungsfrist beträgt 10 Jahre.
Das Gesamtvolumen für diese beiden Maßnahmen ist auf 3,5 Mio. € gedeckelt.
Immerhin hat die Stadt aus dem Ankauf von Belegungsrechten in Grone-Süd gelernt, wo die dort subventionierten Mieten mit Belegungsrechten weit über dem ortsüblichen Niveau lagen und zur Durchsetzung von Mietpreissteigerungen in den übrigen Wohnungen genutzt wurden. Deshalb hat sie jetzt Mietobergrenzen von 5,60 €/m² festgelegt. Dennoch ist auch hier die Bindungsfrist ein Problem.
Zum grundsätzlichen Problem des Programms
Dies verweist insgesamt auf ein wesentlich grundsätzlicheres Problem eines so gearteten Programms. Es ist darauf ausgerichtet, die Wohnraumversorgung über private Investoren sicherzustellen. Diese kalkulieren aber nach ihren Renditeinteressen. Das Programm versucht, diese Renditeinteressen und das soziale Interesse mittels finanzieller Unterstützung durch den (lokalen) Staat oder durch staatliche Auflagen zusammenzubekommen. Dies kann immer nur für eine gewisse Zeitspanne gelingen. Dies zeigt sich bereits im Bündnis für bezahlbaren Wohnraum. Hier soll durch einen dialogorientierten Prozess der wohnungsmarktrelevanten Akteure für bezahlbares Wohnen gesorgt werden. Die Grenzen dieses Konzeptes sind erst kürzlich wieder deutlich geworden. In der Zimmermannstraße ist eine 4000m² große Fläche meistbietend verkauft worden. Die Stadt und der Immobilienunternehmer Hans-Rudolf Kurth boten hier um die Wette. Beide sind übrigens im Bündnis für bezahlbares Wohnen. Hier wird deutlich, welche Effekte das Bündnis zeitigt: wohl eher geringe, schließlich haben wir es hier mit grundlegenden Interessensgegensätzen zu tun. Die durch das Wettbieten erzielten hohen Bodenpreise für das Grundstück lassen erwarten, dass hier nur wenige günstige Wohnungen entstehen werden, auch wenn Kurth selbst anderes vermeldet.
Deshalb wäre es sinnvoller, statt auf private Anbieter und Marktkonkurrenz zu setzen, die sozialen Wohnungsbauträger zu stärken und so auch langfristig bezahlbares Wohnen zu sichern. Wie dies möglich wäre, wurde erst kürzlich im Rahmen zweier Studien der Grünen und der Linkspartei für den Bundestag aufbereitet. Vergleicht man diese Ansätze mit dem Göttinger Konzept, kann die Göttinger Variante höchstens ein erster Schritt auf dem Weg zu einer sozialen Wohnraumversorgung sein.
Hilfreiche Anaslyse
wie gut, dass es Leute gibt, die die Beschlüsse der Politik genau lesen und sich nicht mit den Etiketten zufrieden geben. Das“Kommunale Handlungskonzept“ stellt klar, einkommenschwache Haushalte werden nur mit Wohnungen „versorgt“, wenn damit ausreichend Gewinn gemacht werden kann. Da dieses bei Neubauten Mieten erfordert, die selbst mittlere Einkommensgruppen nicht zahlen können, subventioniert die Stadt durch Zuschüsse aus Steuergeldern den Gewinn der privaten Wohnungseigentümer. Ohne diese umverteilenden Zuschüsse kann die private Immobilienwirtschafts Einkommenschwache nicht „versorgen“. Das hat sie es in den letzten 15 Jahren mehr als deutlich gemacht hat. Rot-Grün stört das nicht, sie subventionieren die Vermögenden wieder wie früher im Sozialen Wohnungsbau.
Hilft das jenen, die dringend eine bezahlbare Wohnung brauchen? Schon, 5,60 oder 7,00 €/qm sind weniger als 11 oder 12 €/qm. Aber wirkt das „Kommunale Handlungskonzept“ auch? Die genannten Zweifel kann man noch ergänzen. Es fehlen aktuell (!) – nicht 2021 oder 2030 – 1.900 „bezahlbare“ Wohnungen , d.h. Wohnuzngen mit einer Miete unter 5,60 €/qm. Was bringt die Anwendung der „30%-Quote“? 2016 sind in Göttingen laut Statistischem Amt 7 (!) Wohngebäude fertiggestellt worden, die (rechnerisch) jeweiuls mehr als 12 Wohnungen hatten, also für die Quote in Frage kommen. In diesen 7 Gebäuden gab es 255 neue Wohnngen, d.h. bei Anwendung der Quote wären rd. 50 „bezahlbare“ Wohnungen entstanden. In den Jahren zuvor war die mengenmäßige Situation wohl nicht viel anders. Da bis 2021 nur eine Quote von 15% gelten soll, wären es 25 „bezahlbare“ Wohnungen. 1.875 Wohnngen fehlen dann immer noch – aktuell (!). Aber Rot-Grün ist aktiv, setzt sich für die Schwachen ein.
Zum „Handlungskonzept“ der Stadt gehören aber auch noch das „Wohnbaulandkonzept“ und die „Flächensteckbriefe Wohnbaulandpotenzial“. Diese sind zu berücksichtigen, um zu klären, ob mit „Handlungskonzept“ tatsächlich die Möglichkeit der Dämpfung der Bodenspekulation gegeben sind, wie hier gesagt wird. Ein empörter Protest der Grundeigentümer war bisher jedenfalls nicht zu vernehmen.
Dr. H.D. von Frieling
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